Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwingende Ausweisung. nachträglicher Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung unter Gesichtspunkten des AufenthG
Leitsatz (amtlich)
Der nachträgliche Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung steht einer Verurteilung ohne Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung im Sinne von § 53 Nr. 2 AufenthG nicht gleich.
Normenkette
GG Art. 6 Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 2 Sätze 1, 1 Nr. 4, Abs. 5 S. 1; AufenthG § 53 Nr. 2, § 55 Abs. 1, 2 Nr. 2, § 56 Abs. 1, § 58 Abs. 2 S. 2, § 60a Abs. 2, § 81 Abs. 4-5, § 84 Abs. 2 S. 1
Tenor
1. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe – ohne Ratenzahlung – bewilligt und Rechtsanwalt B., B-Stadt zur unentgeltlichen Wahrnehmung seiner Rechte beigeordnet.
2. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16.05.2008 wird hinsichtlich der darin verfügten Ausweisung wiederhergestellt und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung angeordnet.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Gründe
Soweit der Antragsteller mit seinem Antrag die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines fristgerecht eingelegten Widerspruchs gegen die kraft behördlicher Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1, Nr. 4 VwGO sofort vollziehbare Ausweisung und die kraft Gesetzes gemäß §§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, 20 AGVwGO vollziehbare Abschiebungsandrohung begehrt, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft und hat auch in der Sache Erfolg.
Nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gebotenen, auch an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientierten Interessenabwägung ist zunächst die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 13.06.2008 insoweit wiederherzustellen, als er sich gegen die in dem Bescheid des Antragsgegners vom 16.05.2008 auf Dauer ausgesprochene Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland richtet.
Das private Interesse des Antragstellers, ungeachtet der in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestimmten Wirksamkeit der Ausweisung jedenfalls von der Vollziehung der Ausreisepflicht bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf in der Hauptsache verschont zu bleiben, überwiegt schon deshalb das öffentliche Interesse am Sofortvollzug, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von dem Antragsgegner auf der Grundlage des § 53 Nr. 2 AufenthG verfügten Ausweisung des Antragstellers bestehen.
Der Antragsteller wurde unter anderem mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 22.09.2005 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit Diebstahl geringwertiger Sachen begangen in Tatmehrheit mit – jeweils im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit begangenen – Delikten des Betrugs hinsichtlich geringwertiger Sachen in Tatmehrheit mit jeweils in Tateinheit stehenden Delikten der Beleidigung, des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und der versuchten Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten sowie mit Urteil des Amtsgerichts Trier vom 22.01.2007 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, wobei die Vollstreckung der Strafe jeweils zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die diesen Verurteilungen zugrunde liegenden Straftaten stellen entgegen der Ansicht des Antragsgegners allerdings keinen zwingenden Ausweisungsgrund im Sinne von § 53 Nr. 2 AufenthG dar, der insoweit voraussetzt, dass der Ausländer wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Dass die jeweilige Strafaussetzung zur Bewährung im Fall des Antragstellers nachträglich widerrufen worden ist, steht einer Verurteilung ohne Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung im Sinne des § 53 Nr. 2 AufenthG nicht gleich. Vielmehr ist es mit dem typisierenden Charakter der Bestimmung des § 53 Nr. 2 AufenthG unvereinbar, den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung der unbedingten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe gleichzusetzen
so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 16.11.1999 – 1 C 11.99 –, InfAuslR 2000, 105, zu der früheren Vorschrift des § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG; a. A. OVG Berlin, Beschluss vom 15.09.1999 – 8 S 14.99 –, InfAuslR 2000, 24.
Die Ausweisung des Antragstellers hat auch nicht als Ermessensausweisung gemäß § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG Bestand. Dabei bedarf es vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, ob sich der Antragsteller auf besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG berufen kann, weil er mit einer deutschen Staatsangehörigen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebt und deshalb gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden darf. Denn auch ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG schützenswerten ehelichen Lebensgemeinschaft hielte die Ausweisung des Antragstellers als...