Entscheidungsstichwort (Thema)

Eheschließung steht Abschiebung in den für das Asylverfahren zuständigen Staat nicht entgegen

 

Leitsatz (amtlich)

Aus der nach der Einreise in das Bundesgebiet erfolgten Eheschließung mit einem Ausländer, der über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, ergibt sich weder eine Sondersituation, die ein Absehen von § 34a Abs. 2 AsylVfG rechtfertigt, noch ist deshalb ein Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung zwingend geboten.

 

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben; die Kosten des Verfahrens im Übrigen trägt die Antragstellerin.

 

Gründe

Der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, der Antragsgegnerin vorläufig zu untersagen, die Überstellung der Antragstellerin nach Italien weiter zu betreiben, ist gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft.

Für den Antrag besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl der Antragstellerin – ungeachtet des von der Antragsgegnerin eingeleiteten Rücknahmeverfahren – bisher noch keine Abschiebungsanordnung gemäß den §§ 34a Abs. 1, 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG zugestellt worden ist. Unstreitig betreibt die Antragsgegnerin ein Übernahmeverfahren und hat die Überstellung der Antragstellerin nach Italien eingeleitet. Nach den Angaben in der Antragserwiderung hat Italien dem Übernahmegesuch sogar bereits am 23.07.2010 zugestimmt. Berücksichtigt man außerdem, dass die Zustellung des die Abschiebungsanordnung beinhaltenden Bescheides vom 27.07.2010 an die Antragstellerin voraussichtlich – wie regelmäßig in solchen Fällen – erst unmittelbar vor der Überstellung erfolgen wird, so ist es ihr nicht zuzumuten, mit einer Antragstellung zuzuwarten, weil ansonsten die Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG wesentlich erschwert wäre.

Der Antrag hat jedoch keinen Erfolg.

Einer gerichtlichen Eilentscheidung in dem von der Antragstellerin begehrten Sinne steht bereits die Vorschrift des § 34a Abs. 2 AsylVfG entgegen. Danach darf die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Daran, dass Italien der zur Prüfung des Asylantrags der Antragstellerin zuständige Staat im Sinne von § 27a AsylVfG nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 v. 25.02.2003) – Dublin II-VO – ist, besteht vorliegend kein Zweifel.

In verfassungskonformer Auslegung des § 34a Abs. 2 AsylVfG kommt lediglich ausnahmsweise dann die vorläufige Untersagung der Abschiebung nach § 123 VwGO in Betracht, wenn der Asylbewerber eine Sondersituation darlegt und glaubhaft macht, dass diese vom Konzept der normativen Vergewisserung nicht erfasst wird. Dabei kann es sich zum einen um Sachlagen handeln, die die Verhältnisse im sicheren Drittstaat oder dem für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat betreffen, mithin zielstaatsbezogener Natur sind. Zum anderen fallen hierunter sämtliche Umstände, die einer Abschiebung aus Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen oder aus humanitären Erwägungen entgegenstehen, d.h. die innerstaatlichen (inlandsbezogenen) Abschiebungshindernisse

vgl. VG des Saarlandes, Beschluss vom 12.05.2010 – 2 L 424/10 –, bei juris, Hailbronner, Kommentar zum Asyl- und Ausländerrecht, § 34a AsylVfG Rdnr 43 ff..

Eine derartige Sondersituation hat die Antragstellerin nicht dargetan. Aus der nach der Einreise in das Bundesgebiet eingegangenen Ehe mit einem türkischen Staatsangehörigen, der über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, ergibt sich keine Sondersituation, die ausnahmsweise ein Absehen von der erwähnten Regelung in § 34a Abs. 2 AsylVfG rechtfertigen würde.

Die Antragstellerin kann sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Antragsgegnerin nicht von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht hat. Der Bescheidentwurf vom 27.07.2010 enthält eine ausdrückliche Ablehnung des Selbsteintritts mit der Begründung, dass außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben, nicht ersichtlich seien. Dies bedeutet, dass die Beklagte vor Erlass der Abschiebungsanordnung die Voraussetzungen für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts geprüft hat. Zwar war der Umstand, dass die Antragstellerin am 22.07.2010 die Ehe mit einem türkischen Staatsangehörigen, der über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, eingegangen ist, der Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Bescheides noch nicht bekannt. Die Antragsgegnerin hat jedoch in ihrer Antragserwiderung eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie der Tatsache der Eheschließung keine ausschlaggebende Bedeutung beimessen will...

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