Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylrecht. Überstellung eines irakischen Asylbewerbers nach Griechenland (Dublin II-VO) im Eilverfahren vorläufig untersagt
Leitsatz (amtlich)
Mit Blick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (u.a. vom 08.09.2009 – 2 BvQ 53/09 –) ist die Überstellung von Asylbewerbern nach Griechenland als dem nach der Dublin II-Vo zuständigen Staat ausnahmsweise nach § 123 VwGO vorläufig zu untersagen.
Normenkette
GG Art. 16a Abs. 2 Sätze 1, 3, Art. 19 Abs. 4; BVerfGG § 32 Abs. 1; VwGO § 123 Abs. 1 S. 1; AsylVfG § 31 Abs. 1 S. 4, § 34a Abs. 1-2
Tenor
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, die Überstellung des Antragstellers nach Griechenland weiter zu betreiben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben; die Kosten des Verfahrens im Übrigen trägt die Antragsgegnerin.
Gründe
Der von dem Antragsteller bei sachgerechtem Verständnis seines Rechtsschutzbegehrens in der Form der Sicherungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO gestellte Eilrechtsschutzantrag ist zulässig und hat nach Maßgabe des Beschlusstenors auch in der Sache Erfolg.
Für den Antrag besteht ein Rechtschutzbedürfnis, obwohl in dem von der Antragsgegnerin eingeleiteten Rückübernahmeverfahren dem Antragsteller noch keine Abschiebungsanordnung gemäß den §§ 34a Abs. 1, 31 Abs. 1 S. 4 AsylVfG zugestellt worden ist. Nach Aktenlage ist nämlich davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin ein Übernahmeverfahren betreibt und die Überstellung des Antragstellers nach Griechenland eingeleitet hat. Berücksichtigt man, dass die Zustellung des die Abschiebungsanordnung beinhaltenden Bescheides vom 11.03.2010 an den Antragsteller wie regelmäßig erst unmittelbar vor der Überstellung erfolgen wird, ist es ihm nicht zuzumuten, mit einer Antragstellung zuzuwarten, zumal ansonsten die Inanspruchnahme effektiven Rechtschutzes i. S. v. Art. 19 Abs. 4 GG wesentlich erschwert wäre.
Einer gerichtlichen Eilentscheidung in dem von dem Antragsteller begehrten Sinn steht vorliegend – ausnahmsweise – auch nicht die Vorschrift des § 34a Abs. 2 AsylVfG entgegen, wonach die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen sicheren Drittstaat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf.
In verfassungskonformer Auslegung des § 34a Abs. 2 AsylVfG kommt nämlich ausnahmsweise die vorläufige Untersagung der Abschiebung nach § 123 VwGO dann in Betracht, wenn der Asylbewerber eine Sondersituation darlegt und glaubhaft macht, dass diese vom Konzept der normativen Vergewisserung nicht erfasst wird. Dabei kann es sich zum einen um Sachlagen handeln, die die Verhältnisse im (angeblich) sicheren Drittstaat betreffen, mithin zielstaatsbezogener Natur sind. Zum anderen fallen hierunter sämtliche Umstände, die einer Abschiebung aus Deutschland heraus – in welchen Staat auch immer – aus (verfassungs-) rechtlichen Gründen oder aus humanitären Erwägungen entgegenstehen, mithin die innerstaatlichen Abschiebungshindernisse
vgl. Beschlüsse der Kammer vom 30.04.2010 – 2 L 344/10, vom 09.03.2010 – 2 L 178/10, vom 03.12.2009 – 2 L 1973/09, vom 27.10.2009 – 2 L 1443/09 und vom 21.10.2008 – 2 L 1558/08 –; BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1938, 2315/93 –, NVwZ 1996, 700 sowie Hailbronner, Kommentar zum Asyl- und Ausländerrecht, § 34a AsylVfG Rdnr 43 ff..
Eine Sondersituation in dem vorbezeichneten Sinne ist derzeit schon deshalb gegeben, weil das Bundesverfassungsgericht u. a. mit Beschlüssen vom 08.09.2009 – 2 BvQ 56/09 – und 23.09.2009 – 2 BvQ 68/09 – vorläufig Abschiebungen von irakischen Asylbewerbern nach Griechenland im Überstellungsverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-VO) gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG bei angenommenen offenen Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens untersagt hat. Für die Annahme einer Sondersituation ist dabei aus Sicht des Gerichts entscheidend, dass die Verfassungsbeschwerden ausweislich der Gründe der Beschlüsse Anlass zur Untersuchung geben, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 16a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung bei der Anwendung von § 34a Abs. 2 AsylVfG treffe, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrages eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Dublin II-VO zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft sei. Bezogen auf den Zielstaat Griechenland hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der von ihm angestellten Folgenabwägung zudem ausgeführt, bliebe den – dortigen – Antragstellern der begehrte Erlass der einstweiligen Anordnung versagt, obsiegten sie aber in der Hauptsache, könnten möglicherweise bereits eingetretene Rechtsbeeinträchtigungen nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden. In dem Beschluss vom 08.09.2009 heißt es, es sei bereits die Erreichbarkeit des Ausländers in Griechenland für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens nicht sichergestellt, sollte, wie von ihm gestützt auf ernst zu ...