Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingliederungshilfe zur Milderung bzw. Behebung seiner seelischen Behinderung. Rechtsanspruch nach dem SGB VIII von jugendlichen Ausländern. Maßnahme der Frühförderung

 

Normenkette

SGB VIII §§ 35a, 10 Abs. 4 Sätze 1, 3, § 6; SGB XII § 53 Abs. 3, 4 S. 1, §§ 54, 56-57, 23 Abs. 2; AsylbLG § 9

 

Tenor

1. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., B-Stadt, bewilligt. Eine Ratenzahlungsverpflichtung besteht nicht.

2. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, für den Antragsteller die Kosten für seine ambulante Behandlung bei der Therapieambulanz Saarlouis des Vereins „Hilfe für das autistische Kind” – längstens – bis zu seinem Schuleintritt zu übernehmen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

 

Gründe

Der nach § 123 Abs. 1 VwGO zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.

Der erforderliche Anordnungsgrund im Sinne eines wesentlichen Nachteils für den Fall, dass die begehrte einstweilige Anordnung unterbleibt, liegt hier vor, da dem Antragsteller ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist, weil die Versäumnisse einer spezifischen Förderung, die der Antragsteller wegen seiner Behinderung benötigt, nur schwer aufholbar sind.

Der im Jahr 2003 geborene ausländische Antragsteller, der unstreitig an frühkindlichem Autismus leidet, hat nach dem Erkenntnisstand der Kammer in dem vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung in gleichgelagerten Verfahren auch einen Anordnungsanspruch, denn er kann von dem Antragsgegner Eingliederungshilfe zur Milderung bzw. Behebung seiner seelischen Behinderung in Form der von ihm begehrten ambulanten Therapiemaßnahme verlangen.

Dass es sich bei frühkindlichem Autismus um eine seelische Behinderung i. S. v. § 35 a SGB VIII handelt, ist in der Rechtsprechung geklärt.

Vgl. bspw. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 01.12.2004, 3 W 17/04, mit weiteren Nachweisen zur obergerichtlichen Rechtsprechung

Nach §§ 10 Abs. 4 S. 1, 35 a SGB VIII kommen daher vorrangig Leistungen der Jugendhilfe in Betracht, wobei gemäß § 35 a Abs. 3 SGB VIII sich Ziel und Aufgabe der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Maßnahmen nach den §§ 53 Abs. 3 und 4 S.1, 54, 56, 57 SGB XII richten. Nach § 35 a Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGB VIII kann die Hilfe nach Bedarf im Einzelfall in ambulanter Form, in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen geleistet werden.

Bei dem Antragsteller handelt es sich um ein ausländisches Kind, dessen Aufenthalt nach Ablehnung der Asylanträge seiner Eltern in Deutschland geduldet ist. Damit ist er dem Kreis der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (vgl. § 1 AsylbLG) zuzurechnen, für die in §§ 9 AsylbLG, 23 Abs. 2 SGB XII ein Leistungsausschluss in Bezug auf Sozialhilfeleistungen vorgesehen ist.

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

vom 24.06.1999, 5 C 24.98, zitiert nach juris,

schließen indessen die Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes mit Blick auf dessen beschränkte Zielsetzung und die unterschiedliche Zielsetzung des SGB VIII, insbesondere der Regelung des § 6 SGB VIII die Gewährung von Jugendhilfe an minderjährige (ehemalige) Asylbewerber nicht aus. Danach befasst sich das Asylbewerberleistungsgesetz mit der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern und gewährt, um materielle Anreize für eine illegale Einreise zu beseitigen, grundsätzlich nur Leistungen des Existenzminimums vorrangig in Form von Sachleistungen. Das SGB VIII hingegen ist ein umfassendes Jugendhilfegesetz insbesondere auf dem Gebiet der Erziehung. Aus der Regelung des § 6 Abs. 2 SGB VIII ergibt sich ausdrücklich, dass jugendliche Ausländer, die rechtmäßig oder aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, einen Anspruch auf Leistungen nach diesem Buch haben können. Gemeint ist hiermit trotz der missverständlichen Formulierung ein Rechtsanspruch.

Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 01.12.2004, 3 W 17/04; vgl. im Übrigen auch: Art. 23 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20.11.1989 über die Rechte des Kindes – Uno-Kinderkonvention – (BGBl. 1992 II, S. 121)

Der in Deutschland geborene Antragsteller, dessen Eltern sich seit 1992 im Bundesgebiet aufhalten, hat seit geraumer Zeit eine Duldung und erfüllt damit die in der erwähnten Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung angesprochene Sechs-Monatsgrenze, die im Sinne des Art. 1 Haager Minderjährigenschutzabkommen, das für den dort geschützten Personenkreis im Verhältnis zur allgemeinen Regelung des § 6 SGB VIII Vorrang hat, zur Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts führt.

Das Jugendhilferecht begründet daher einen Anspruch des Antragstellers auf Leistungen zur Abwendung einer drohenden sowie Behebung oder Milderung einer bestehenden seelischen Behinderung. Diese Leistung kann ...

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