Entscheidungsstichwort (Thema)
Behinderter Jugendlicher. Mehrfachbehinderung. Abgrenzung der Leistungen der Eingliederungshilfe von den Leistungen der Jugendhilfe. Vorrang der Sozialhilfe vor der Kinder- und Jugendhilfe
Leitsatz (amtlich)
Die Abgrenzung von Leistungen der Eingliederungshilfe bei mehrfach behinderten Kindern und Jugendlichen von Leistungen der Hilfe zur Erziehung erfolgt nicht nach dem Schwerpunkt einer der beiden Hilfeleistungen, sondern bestimmt sich allein nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII.
Normenkette
BGB §§ 288, 291; SGB I § 43; SGB VIII § 10 Abs. 4 S. 2, §§ 27, 34, 35a Abs. 1, §§ 42, 69 Abs. 1; SGB IX § 14 Abs. 1 S. 2; SGB X § 102; SGB XII § 53
Nachgehend
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die für den Hilfeempfänger D… in dem Zeitraum vom 18.04.2007 bis 30.09.2007 entstandenen Jugendhilfekosten in Höhe von 45.017,30 EUR zuzüglich Prozesszinsen in gesetzlicher Höhe seit dem 27.11.2007 zu erstatten.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 53.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für die Unterbringung des im Jahre 1992 geborenen D… (im Folgenden: Hilfeempfänger) in Form einer internatsmäßigen Betreuung in einer individuell geschlossenen Gruppe der Jugendeinrichtung Schloss….
Der mehrfach behinderte Hilfeempfänger (kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen, Verdacht auf ADHS, Diabetes mellitus Typ 1 mit chronisch unzureichender Stoffwechseleinstellung im Zusammenhang mit schlechter Patientenmitarbeit) war aufgrund erzieherischer Probleme und Verhaltensauffälligkeiten zunächst in einer Tagesgruppe untergebracht. Aufgrund seines Verhaltens, insbesondere im Umgang mit der Einstellung seines Blutzuckerwertes machte er es den Mitarbeitern der Tagesgruppe schwer, ihrer Verantwortung für seine Gesundheit nachzukommen. Die Situation im Elternhaus des Hilfeempfängers gestaltete sich ebenfalls sehr schwierig. Nach dem sich auch die schulische Situation im Jahre 2005 zugespitzt hatte, stellte das Gesundheitsamt des damaligen Stadtv. am 23.07.2005 fest, aus medizinischer Sicht sei eine zeitnahe Optimierung der Diabeteseinstellung und Schulung erforderlich, zudem müssten die bekannten psychosozialen Verhaltensauffälligkeiten abgeklärt werden.
Im Rahmen der Überprüfung der Kostenträgerschaft gab der ärztliche Dienst des Beklagten am 17.10.2005 folgende Stellungnahme nach Aktenlage und Telefonat mit Herrn Dr. H… vom SPZ ab:
“Die Diabetes-Erkrankung ist insgesamt als drohende wesentliche Behinderung anzuerkennen. Die Verhaltensauffälligkeiten (ADHS) seien nach Auskunft von Herrn Dr. H… medikamentös behandelt (Ritalin) jedoch nicht ausreichend stabilisiert. Daher sei der Aufenthalt im SPZ geplant. D… habe auf jeden Fall auch eine wesentliche seelische Behinderung.”
In einem Vermerk des Beklagten vom 01.03.2006 wird festgestellt: “Art der Behinderung: mehrfach behindert in Form einer seelischen als auch drohenden körperlichen Behinderung.”
In einem Bericht der Kinderklinik vom 31.03.2006 über einen stationären Aufenthalt des Hilfeempfängers in der Zeit vom 02.01. bis 24.02.2006 wird folgende “zusammenfassende Beurteilung und Therapieempfehlung” abgegeben: “Im Laufe der stationären Behandlung wurde deutlich, dass die vielfältigen Störungsformen bei D… so ausgeprägt sind, dass zur Sicherung einer positiven sozialen, emotionalen und körperlichen Entwicklung eine umfassende Hilfsmaßnahme gegeben werden muss. So wurde die Aufnahme im Internat angebahnt, einem Internat das auf die Betreuung von Jungen und Mädchen spezialisiert ist, die an Diabetes mellitus erkrankt sind. Zusätzlich wurde wegen der erheblichen Schulleistungsprobleme die Umschulung auf eine Sonderschule für Lernbehinderte forciert. Die Schulleistungsprobleme resultieren aus unserer Sicht zum Einen aus der nur knapp durchschnittlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit des Jungen, zum Anderen aber auch aus den Auswirkungen der psychoemotionalen Belastungen, die sowohl durch die Aufmerksamkeitsstörung als auch durch die Diabetes-Erkrankung entstehen. Aufgrund der erheblichen Störung des Sozialverhaltens, die auch im stationären Rahmen bei uns zu Krisensituationen führte, erscheint es auch unserer Sicht äußerst wichtig sicher zu stellen, dass die Eingewöhnung im Internat gelingt.”
Ab dem 13.03.2006 wurde der Hilfeempfänger internatsmäßig untergebracht. Mit Wirkung vom 14.07.2006 wurde dieser Aufenthalt beendet, da sich das Internat trotz Einzelbetreuung mit der erzieherischen Problematik und der Diabetes-Erkrankung überfordert fühlte.
Für diesen internatsmäßigen Aufenthalt gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 01.03.2006 als aus seiner Sicht zweitangegangener Träger gem. § 14 SGB IX vorläufig die Kostenübernahme und machte gleichzeitig wegen sachlicher Unzuständigkeit einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Kläger mit der ...