Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf der Flüchtlingsanerkennung. Beendigungsklausel. Änderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat. Irak. allgemeine Gefahren. nichtstaatliche Verfolgung
Leitsatz (amtlich)
1. Der politische Systemwechsel im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins stellt eine grundlegende, zum Widerruf berechtigende und verpflichtende nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse i. S. d. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG dar.
2. Die sich aufgrund der angespannten Sicherheitslage im Irak ergebenden allgemeinen Gefahren stehen dem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht entgegen.
Normenkette
AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben; die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und moslemischer Religionszugehörigkeit. Er reiste seinen eigenen Angaben zufolge am 18.08.2001 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte hier am 30.08.2001 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung seines Antrages führte er im Wesentlichen an, er habe am 21.07.2001 ein Theaterstück, das im S.-Kino in K. aufgeführt worden sei und sich mit der Schuld des Regimes an dem Embargo gegen den Irak befasst habe, auf Video aufgenommen. Am nächsten Tag seien einige der Schauspieler sowie sein Cousin, dem er die Videokamera überlassen habe, festgenommen worden. Nachdem sein Onkel in Erfahrung gebracht habe, dass gegen ihn ebenfalls ein Haftbefehl erlassen worden sei, habe er sich zur Ausreise entschlossen.
Mit Bescheid vom 09.10.2001 lehnte das frühere Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge der Beklagten (Bundesamt) den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte zugleich aber fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Zur Begründung wurde dargelegt, dass sich der Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat zwar nicht auf Art. 16 a Abs. 1 GG berufen könne. Er dürfe allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in den Irak abgeschoben werden, weil die Asylantragstellung von aus dem Zentralirak stammenden Personen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu politischer Verfolgung führe.
Am 11.12.2003 leitete das Bundesamt im Hinblick auf die geänderte politische Situation im Irak nach dem Sturz des Regimes Saddam Husseins ein Widerrufsverfahren gemäß § 73 AsylVfG ein und hörte den Kläger hierzu mit Schreiben vom 11.03.2004 an.
Mit Schreiben vom 23.04.2004 verwies der Kläger auf eine UNHCR-Stellungnahme zur Rechtsstellung anerkannter irakischer Flüchtlinge und ihrer Familienangehörigen vom September 2003 und machte geltend, der Widerruf des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG widerspreche der humanitären Intension der Genfer Flüchtlingskonvention. Trotz Änderung der Verhältnisse im Irak erscheine eine Rückkehr derzeit als unzumutbar. Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft bedürfe eines Grundmaßes an Stabilität der veränderten Verhältnisse. Hiervon könne im Irak indes keine Rede sein, auch wenn das Regime Saddam Husseins nicht mehr an der Macht sei. Eine ausreichende wirtschaftliche Existenzsicherung für zurückkehrende Flüchtlinge bestehe nicht. Auch seien die Strukturen des ehemaligen Regimes Saddam Husseins bislang nicht zerschlagen worden. Einem Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung stehe auch entgegen, dass im Januar 2002 zwei der verhafteten Schauspieler des von ihm gefilmten regimekritischen Theaterstückes hingerichtet worden seien und er von deren Verwandten nun beschuldigt werde, diese verraten zu haben. Sie hätten gedroht, ihn im Falle seiner Rückkehr zu töten. Seine eigenen Familienangehörigen seien aufgrund der im Irak praktizierten Sippenhaft vor den Nachstellungen der Verwandten der hingerichteten Schauspieler nicht sicher und hätten sich zwischenzeitlich veranlasst gesehen, ihren Wohnort zu wechseln. Eine Rückkehr in den Irak sei für ihn auch deshalb nicht zumutbar, weil seine Ehefrau im Vertrauen auf eine Familienzusammenführung in der Bundesrepublik Deutschland sein gesamtes Eigentum im Irak verkauft habe.
Mit Bescheid vom 22.07.2004 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 09.10.2001 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, und stellte zugleich fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zur Begründung wurde unter Darlegung im Einzelnen ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht mehr vorlägen, nachdem sich die politische Situation im Irak durch die am 20.03.2003 begonnene Militäraktion ein...