rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Versammlungsverbot. Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 5. Dezember 1994 wird wiederhergestellt. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Antragsgegner.
2. Der Streitwert wird auf 4.000,– DM festgesetzt.
Gründe
Der am 7. Dezember 1994 gestellte und aus dem Tenor zu 1. ersichtliche Antrag hat Erfolg.
Der Antrag ist zulässig. Insbesondere sind alle Antragsteller beteiligtenfähig nach § 61 Nr. 1 bzw. Nr. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom 21. Januar 1960 (BGBl. I S. 17) in der Fassung vom 11. Januar 1993 (BGBl. I S. 50) und antragsbefugt im Sinn des § 42 Abs. 2 VwGO; diese Vorschriften finden im vorliegenden Aussetzungsverfahren entsprechende Anwendung. Sie können geltend machen, durch das verfügte Versammlungsverbot in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt zu sein. Träger dieses Grundrechts sind alle Deutschen, die sich an einer Versammlung beteiligen bzw. beteiligen wollen, auch nicht rechtsfähige Vereinigungen, wenn sie ihrer Struktur nach festgefügt und auf eine gewisse Dauer angelegt sind.
Der Antrag ist auch begründet. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist geboten, wenn eine Interessenabwägung ergibt, daß das private Interesse des Antragstellers an dem einstweiligen Nichtvollzug gegenüber dem öffentlichen Interesse, aus dem heraus der Antragsgegner die sofortige Vollziehung angeordnet hat, vorrangig erscheint Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt regelmäßig dann, wenn der angefochtene Verwaltungsakt, offensichtlich rechtmäßig ist. Umgekehrt überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen regelmäßig, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Läßt sich weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts noch dessen offensichtliche Rechtswidrigkeit feststellen, so findet eine Interessenabwägung unter Ausklammerung dieser Gesichtspunkte statt. Ist der Sofortvollzug eines Versammlungsverbots angeordnet worden, so kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei der Interessenabwägung besondere Bedeutung zu, weil der Sofortvollzug in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt.
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Brokdorf-Beschluß vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233, 341/81 –, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 69, 315 ≪363 f≫, Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NW), Beschluß vom 29. Mai 1992 – 23 B 2445/92 –, S. 2 UA.
Die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 5. Dezember 1994 (VL 1 2-231) erweist sich bei summarischer Prüfung weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig; die danach vorzunehmende Interessenabwagung fällt zugunsten der Antragsteller aus.
Nach § 15 Abs. 1 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzuge (Versammlungsgesetz – VersG –) vom 24. Juli 1953 (BGBl. I S. 684) in der Fassung des Gesetzes vom 8. Juni 1989 (BGBl. I S. 1059) kann die zuständige Behörde eine Versammlung nur verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Prognose der unmittelbaren Gefährdung hat auf die zur Zeit des Erlasses der Verbotsverfügung erkennbaren Umstände abzustellen. Der Begriff „Umstände” umfaßt Tatsachen, Verhältnisse, Sachverhalte sowie sonstige Einzelheiten, die sich auf die Durchführung der Versammlung beziehen. Umstände sind erkennbar, wenn sie offen zutage liegen oder der zuständigen Behörde bei der ihr obliegenden Aufklärung zur Verfügung stehen. Dabei sind an die Gefahrenprognose wegen des hohen Rangs der Grundrechtsverbürgung der Versammlungsfreiheit in Art. 8 Abs. 1 GG hohe Anforderungen zu stellen. Versammlungen und Demonstrationen sind Mittel im politischen Meinungskampf, der Lebenselement der freiheitlichen und demokratischen Staatsordnung ist.
BVerfG, Brokdorf-Beschluß vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233, 341/81 –, BVerfGE 69, 315 ≪345≫
Daß von der durch die Antragstellerin zu 1. unter dem Motto „Greifen wir gemeinsam zu den Sternen” für den 10. Dezember 1994 ab 11.00 Uhr mit der Erwartung von 2.000 bis 5.000 Teilnehmern angemeldeten Versammlung vom … Platz durch die … Innenstadt bis zum … Markt eine unmittelbare Gefahrdung der öffentlichen Sicherheit ausgehe, begründet der Antragsgegner in der angefochtenen Verbotsverfügung mit der Befürchtung, die Absicht der Antragstellerin zu 1. und der weiteren demokratischen Gruppen, friedlich und argumentativ Protest gegen die EU-Politik zu artikulieren, werde durch „eine hohe Zahl” aggressivmilitanter und gewaltbereiter Demonstranten aus dem linksextremistischen und autonomen Spektrum, auftretend in wehrhaften Blöcken mit straffer Kommandostruktur, un...