Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsvorschußrecht

 

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt,

ob § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinerziehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder Ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz) vom 23. Juli 1979 (BGBl. I S. 1184) mit Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar ist, soweit danach ein Berechtigter seinen Anspruch auf Unterhaltsleistungen verliert, sobald sein bis dahin allein erziehender Elternteil eine Ehe eingeht.

 

Tatbestand

I.

Der am … geborene Kläger wendet sich gegen die Einstellung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) durch die Beklagte.

Der Kläger erhielt aufgrund von Bewilligungsbescheiden vom 03.07.1991 und vom 26.05.1992 Unterhaltsausfallleistungen gem. § 1 Abs. 1 UVG in Höhe von (zuletzt) monatlich 256,00 DM. Nachdem seine Mutter am … geheiratet hatte, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 21.02.1995 unter Hinweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG die Leistungen ab dem 01.02.1995 ein. Mit Schreiben vom 05.03.1995 legte der Kläger gegen die Einstellung der Unterhaltsvorschussleistungen Widerspruch ein, wobei er sich u.a. darauf berief, § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG sei teilweise verfassungswidrig; die Vorschrift verstoße gegen Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. Artikel 6 Abs. 1 GG, soweit sie nichteheliche Kinder aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausschließe, sobald der Elternteil, bei dem das Kind lebe, heirate („Stiefelternfamilie”).

Unter dem 09.08.1995 änderte die Beklagte ihren Bescheid vom 21.02.1995 dahingehend, dass die sofortige Vollziehung der dort unter Ziffer 1 getroffenen Regelung (Einstellung der Leistungen mit Wirkung vom 01.02.1995) angeordnet werde, und hielt den Bescheid im Übrigen aufrecht. Am 08.02.1996 hat der Kläger Klage erhoben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.1996 wies das Nds. Landesjugendamt den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der Beklagten vom 21.02.1995 zurück und berief sich zur Begründung auf den Leistungswegfall infolge von § 1 Abs. 1 Ziffer 2 UVG nach Heirat der Mutter des Klägers. Die nach dem UVG zu gewährende Leistung sei gerade dazu bestimmt, die bei alleinstehenden Elternteilen typischerweise vorhandene Doppelbelastung mit der Verantwortung für den materiellen Unterhalt und die persönliche Betreuung des Kindes auszugleichen. Ein Kind, das in einer Stiefelternfamilie lebe, sei zum einen hinsichtlich der Betreuung in eine vollständige Familie eingebettet und nehme darüber hinaus an den Vergünstigungen teil, die der Stiefelternteil vielfach durch erhöhtes Kindergeld, Steuervergünstigungen und sonstige familienbezogene Sozialleistungen erhalte. Daher könne der mögliche Einwand, dass der jetzige Ehepartner gegenüber dem Kind keinerlei Verpflichtungen habe, keine Berücksichtigung finden.

Im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stellte der Kläger klar, dass (auch) er der Auffassung sei, die Beklagte habe § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei Erlass des angefochtenen Bescheides zutreffend angewandt; allerdings sei diese Norm verfassungswidrig.

Er beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 21.02.1995 zu Ziffer 1 und den Widerspruchsbescheid des Nds. Landesjugendamtes vom 10.04.1996 aufzuheben, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält unter Bezugnahme auf die Ausführungen des 12. Senats des Nds. Oberverwaltungsgerichts in dessen Beschluss vom 05.02.1996 gleichen Rubrums – 12 M 6848/95 – § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG für verfassungsgemäß.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Das Verfahren ist gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen. Es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vereinbarkeit der im Beschlusstenor genannten Bestimmung des UVG, die die Kammer für verfassungswidrig hält, mit Art. 3 Abs. 1 i.V.m. 6 Abs. 1 GG einzuholen.

Ob die Klage begründet ist, hängt nämlich allein von der Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG ab. Wäre diese zu bejahen, ist die Klage abweisungsreif, denn der angefochtene Einstellungsbescheid der Beklagten vom 21.02.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.1996 der Beklagten leidet an keinen (sonstigen) Rechtsfehlern.

Ist die Rechtsgrundlage des Bescheides indessen verfassungswidrig, so muss er aufgehoben werden.

Das Bundesverfassungsgericht hatte sich bislang nicht mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG zu befassen. Indessen war diese mehrfach Gegenstand folgender obergerichtlicher Entscheidungen, in denen sämtlich keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben wurden:

VGH München, B. v. 31.03.1983 – 12 S 83 A 440 –, FEVS 32, 410 ff.

OVG Lüneburg, B. v. 05.02.1996 – 12 M 6848/95 –, Juris.

OVG Frankfurt/Oder, U. v. 22.08.1996 – 4 A 196/95 –, FEVS 47, 416 ff.

OVG Münster, B. v. 23.12.1996 – 8 B 2935/96 –, NJW-RR 1997, 961 f.

OVG Münster, B. v. 25.03.1997 – 8 E 830/96 –, Juris.

OVG Münster, U. v. 23.09.1999 – 16 A 1491/99 –, NWVBl 200...

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