Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Teilhabegefährdung als Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung von Jugendhilfe für eine Legasthenietherapie. Eingliederungshilfe. Jugendhilfe. Legasthenie. Teilhabegefährdung
Normenkette
BSHG §§ 39-40; SGB VIII § 35 a; SGB XII §§ 53-54
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Verpflichtung des Beklagten, die Kosten der bei der Klägerin durchgeführten außerschulischen Legasthenietherapie zu übernehmen.
Die am xx.xx.xxxx geborene Klägerin besucht zur Zeit die 5. Klasse der J. -Realschule in K. -L.. Bereits in der Grundschule – im 3. Schuljahr – fiel auf, dass sie sehr große Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung hatte, weshalb sie erstmals im Dezember 2003 und sodann erneut Anfang März 2004 dem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie M. N. aus O. vorgestellt wurde, der bei der Diagnostik die Testverfahren K-ABC (Intelligenztest), WRT2+ (Rechtschreibtest), ZLT (Lesetest) und MOTTIER (Überprüfung der Lautdifferenzierungsfähigkeit und auditiven Merkfähigkeit) einsetzte. Die Untersuchungsergebnisse zeigten nach Auffassung von Herrn N., dass die allgemeinen Lern- und Leistungsmöglichkeiten der Klägerin im durchschnittlichen Bereich lägen (IQ: 92), jedoch ihre Rechtschreibefähigkeiten weit unterdurchschnittlich seien (Prozentrang 6 beim WRT3+). Da die Ergebnisse im Lesetest eher im durchschnittlichen Bereich lagen, kam Herr N. zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine isolierte Rechtschreibstörung (ICD10: F81.1) vorliege. Die Klägerin sei bezüglich ihrer Schreibfähigkeiten bereits extrem misserfolgsorientiert und blockiere insbesondere die häusliche Hausaufgabensituation. Sie lese ungern und wenig. Von ihrer Umwelt werde sie als ein eher ängstliches, schnell zu verunsicherndes Mädchen beschrieben. Der interfamiliäre Stress wegen der Hausaufgabensituation und ihr ausgeprägter Widerstand gegen das Schreiben werde, wie bereits erkennbar sei, zu einer erheblichen Belastung in Beziehungen zu ihrer familiären und schulischen Umgebung führen. Eine Förderung innerhalb der Schule reiche derzeit wegen Ausmaß und Besonderheit der zugrundeliegenden Funktionsstörungen und vor dem Hintergrund der sich etablierenden emotionalen Beeinträchtigung nicht aus. Ohne Einleitung geeigneter qualifizierter Hilfen werde ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweichen, und eine Beeinträchtigung ihrer Teilnahme am Leben in der Gesellschaft sei daher zu erwarten. Ärztlicherseits sei die Durchführung einer Legasthenietherapie mit zunächst 40 Behandlungssitzungen als Einzelbehandlung indiziert.
Nachdem die Mutter der Klägerin bereits telefonisch am 25.02.2004 beim Beklagten die Kostenübernahme für eine ambulante Legastheniebehandlung für die Klägerin beantragt hatte, stellte sie dafür unter dem 25.03.2004 einen erst am 05.05.2004 beim Beklagten eingegangenen schriftlichen Antrag. Beigefügt war ein Schulbericht der P. schule in Q. vom 22.03.2004, in dem von der Klassenlehrerin der Klägerin unter anderem folgende Angaben gemacht wurden:
(Zu schulischen Fördermaßnahmen:) Die Klägerin habe im vergangenen Schuljahr sowie im laufenden Schuljahr Förderunterricht in Mathematik und Deutsch genossen. Inhaltlicher Schwerpunkt der Fördermaßnahmen sei unter anderem die Rechtschreibung (lautgetreues Schreiben) gewesen. Das Lern- und Arbeitsverhalten der Klägerin in den Förderstunden sei positiv und bemüht, die Lernfortschritte seien jedoch langsam.
(Zum Verhalten des Kindes bei Erfolg/Misserfolg:) Sie zeige Freude bei Erfolg, bei Misserfolgen sei sie in sich gekehrt und deprimiert.
(Zum Verhalten in sozialen Situationen:) Die Klägerin habe gute soziale Kontakte, sei eher lebhaft aktiv. Sie zeige keine Auffälligkeiten in sozialen Situationen und sei sehr gut in die Klassengemeinschaft integriert. Sie habe gute Kontakte zu allen Mitschülern und eine enge Freundschaft zu einer Mitschülerin.
(Bemerkungen/Anregungen:) Die Klägerin brauche mehr Erfolgserlebnisse, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Eine Rechtschreibtherapie könnte dazu beitragen.
Nachdem auf Aufforderung des Beklagten der Arzt M. N. mit Schreiben vom 14.07.2004 seine fachärztliche Stellungnahme hinsichtlich der von ihm festgestellten Testergebnisse weitergehend erläutert hatte, erhielten die Eltern der Klägerin mit Schreiben des Beklagten vom 25.08.2004 den Hinweis, dass die von den Jugendämtern der Landkreise D., O. und R. sowie der Städte O. und S. zum 01.08.2003 neu eingerichtete Fachstelle § 35 a SGB VIII eine Begutachtung veranlassen werde.
Am 03.11.2004 wurde die Klägerin in der Fachstelle vorgestellt, die unter anderem einen Rechtschreibtest (DRT3) durchführte, den die Klägerin mit einem Prozentrang von 15 und einem T-Wert von 39/40 als Ergebnis bewältigte. Die Fachstelle kam daraufhin zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin aufgrund des erreichten relativ guten Ergebnisses im Rechtschreibtest nicht von einer isolierten Rechtschreibstörung zu sprechen s...