Leitsatz (amtlich)
Die Fahrerlaubnisentziehung aufgrund Cannabiskonsums ist trotz der Weigerung, ein medizinisches Gutachten beizubringen, nicht rechtmäßig, wenn die nur gelegentliche Einnahme von Cannabis bekannt ist, bereits durch ein Drogenscreening abgeklärt wurde und keine Umstände für eine zwischenzeitliche Änderung der Konsumgewohnheiten sprechen.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann “Einnahme” im Rechtssinne nicht dergestalt verstanden werden, dass jeder konkret festgestellte Fall der Einnahme erneut zwingend Gefahrerforschungsmaßnahmen rechtfertigt.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 14. April 2003 wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin bei einem Streitwert von 1.000,- EUR.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch die Antragsgegnerin.
Der 1981 geborene Antragsteller ist seit 1999 Inhaber der Fahrerlaubnis Klasse B.
Bereits am 3. März 1998 war der Antragsteller dadurch polizeilich aufgefallen, dass er mit drei anderen Jugendlichen zusammen in einem Auto Marihuana konsumierte.
Am 10. Juni 2000 wurde von der Polizeiinspektion Schwerin im Kraftfahrzeug des Antragstellers ein Rauchgerät für Marihuana sichergestellt.
Unter dem 9. Juli 2001 ordnete die Antragsgegnerin erstmals unter Hinweis auf die festgestellte Einnahme von Betäubungsmitteln die ärztliche Begutachtung des Antragstellers an, um zu klären, ob bei ihm regel- oder gewohnheitsmäßiger Drogenkonsum gegeben sei (sog. Drogenscreening).
In seinem Gutachten von 20. Februar 2002 stellte das Institut für Rechtsmedizin der Universität Hamburg auf Grund dreier ausgewerteter Urinproben und einer Haarprobe fest, dass sich keine Drogenrückstände dort befunden hätten. Aus den Urinuntersuchungen folge, dass der Antragsteller in den Tagen vor den Probeentnahmen keine der überprüften Substanzen konsumiert habe. Der negative Haarbefund weise darauf hin, dass der Antragsteller in den drei Monaten vor dem 7. Januar 2002 nicht regelmäßig Haschisch konsumiert habe. Ein nur gelegentlicher Konsum führe nicht zu messbaren Konzentrationen des Haschischwirkstoffs in den Haaren. Seiner Fahreignung sei aus toxikologischer Hinsicht nicht zu widersprechen.
Am 23. August 2002 wurde der Antragsteller auf einer Autobahn-Rastanlage in der Nähe von Erlangen von der Polizei schlafend in seinem VW-Bus angetroffen. Eine Durchsuchung seines Fahrzeugs erbrachte ein Tütchen mit 0,4 g Haschisch und 0,54 g Marihuana. Der Antragsteller gab an, die Drogen von einem Freund geschenkt bekommen zu haben.
Hierauf ordnete die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19. September 2002 unter Hinweis auf den festgestellten Drogenbesitz erneut ein Drogenscreening des Antragstellers an.
Dieser erklärte unter dem 9. Oktober 2002, an einer erneuten Untersuchung nicht teilnehmen zu wollen: Er habe bereits ein für ihn günstiges Gutachten vorgelegt, das ihm erhebliche Kosten bereitet habe.
Hierauf wurde dem Antragsteller mit Bescheid vom 21. November 2002 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis entzogen: Da er kein Gutachten beigebracht habe, sei von fehlender Eignung zur Führung eines Kraftfahrzeugs auszugehen.
Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2002 legte der Kläger Widerspruch ein: Die Entscheidung der Antragsgegnerin, nach der Feststellung des Besitzes von Haschisch die Beibringung eines medizinischen Gutachtens anzuordnen, liege in ihrem Ermessen. Dieses habe sie in seinem Fall fehlerhaft ausgeübt, denn er habe bereits durch das Gutachten vom 20. Februar 2002 nachgewiesen, dass er nicht regel- oder gewohnheitsmäßig Haschisch konsumiere. Seither seien auch keine Umstände eingetreten, die ein anderes nahe legten. Zeitgleich suchte der Antragsteller um gerichtlichen Eilrechtsschutz nach (15 VG 5131/2002).
Hierauf setzte die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 18. Dezember 2002 das Widerspruchsverfahren aus und ordnete erneut – jetzt unter Hinweis auf den auf Grund des Besitzes kleiner Mengen zu vermutenden Eigenkonsum von Haschisch bzw. Marihuana – die Beibringung eines medizinischen Gutachtens binnen vier Monaten an. Eine Einverständniserklärung sei bereits binnen zwei Wochen vorzulegen. Die sofortige Vollziehung wurde ausgesetzt. Durch Beschluss vom 12. Februar 2003 wurde die Anordnung wiederholt.
Das gerichtliche Eilverfahren wurde hierauf am 7. Februar 2003 nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten eingestellt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2003 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers zurück und erhielt die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufrecht: Die Ungeeignetheit des Antragstellers ergebe sich daraus, dass er der Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nicht gefolgt sei. Aus den mitgeteilten Umständen folge, dass er Betäubungsmittel konsumiert habe. Sie, die Antragsgegnerin, habe deshalb nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) die Beibringung eines Gutachtens anzuordnen. Es bedürfe hier der Aufklärung, ob de...