Entscheidungsstichwort (Thema)
Weigerung eines Fahrzeugführers ein ärztliches Gutachten für den Beweis seiner Fahrtüchtigkeit beizubringen
Leitsatz (amtlich)
Besitz kleiner Drogenmenge (Marihuana) führt zu § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV nicht zu § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV.
Gründe
I.
Der Antrag hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
Das öffentliche Interesse an dem Sofortvollzug der Fahrerlaubnisentziehung, das die Antragsgegnerin nach § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend begründet hat, überwiegt nicht das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Denn die angefochtene Verfügung vom 8. Juni 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. November 2002, zugestellt am 5. November 2002, dürfte nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung rechtswidrig sein.
1. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis diese zu entziehen, wenn er sich zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erweist. Sie darf bei der Entscheidung über die Entziehung nach § 11 Abs. 8, § 46 Abs. 3 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder ein von der Fahrerlaubnisbehörde gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur zulässig, wenn die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, rechtmäßig war und für die Weigerung, das Gutachten beizubringen, kein ausreichender Grund besteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.7.2001, Az.: 3 C 13/01, – juris –; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 11 FeV Rn. 22, 24).
Die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, dient gemäß § 2 Abs. 7 und 8, § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, §§ 11 Abs. 2, 13, 14, 46 Abs. 3 FeV dazu, aufgrund bekannt gewordener Tatsachen begründete Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zu klären. Mit dieser generellen Voraussetzung ist es – mit Rücksicht auf die belastenden Folgen einer Beibringungsanordnung für den Betroffenen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – nicht ins freie Ermessen der Behörde gestellt, wann sie von einem Anfangsverdacht ausgehen darf. Die Anordnung ist nur rechtmäßig, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung bestehen und wenn die angeordnete Begutachtung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären (vgl. OVG Münster, Urt. v. 22.11.2001, DAR 2002 S. 185, 186; unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 5.7.2001, Az.: 3 C 13.01, und Beschl. v. 23.8.1996, NJW 1997 S. 269).
Speziell zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer Drogenproblematik regelt § 14 FeV in einer differenzierten Abstufung im Einzelnen die gebotenen bzw. zulässigen Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung. Angesichts des ordnungsrechtlichen Charakters der Vorschriften über die Erteilung und Entziehung der Fahrerlaubnis, die der Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit und andere Verkehrsteilnehmer dienen, die aus der Teilnahme von ungeeigneten Kraftfahrern am Straßenverkehr erwachsen, bestimmt sich der Aufklärungsbedarf nach dem Maßstab der durch den betroffenen Kraftfahrer ausgelösten Gefährlichkeit für den öffentlichen Straßenverkehr. Hierbei ist davon auszugehen, dass das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr unter die Fahrtauglichkeit beeinträchtigendem Einfluss vom Betäubungsmitteln erhebliche Gefahren für hochrangige Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer in sich birgt. Dass auch der regel- bzw. gewohnheitsmäßige Cannabiskonsum die Fahrtüchtigkeit ausschließt, entspricht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis (vgl. dazu Kannheiser, NZV 2000 S. 57 ff.). Lediglich die gelegentliche Einnahme ist unschädlich, es sei denn, es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass Konsum und Führen von Kraftfahrzeugen nicht getrennt werden können (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 12.9.2000, NordÖR 2000 S. 460, 461; OVG Münster, a.a.O., unter Verweis auf BVerfG, Beschl. v. 9.3.1994, BVerfGE 90 S. 145, 181 = NJW 1994 S. 1577, 1581; BVerwG, Beschl. v. 23.8.1996, a.a.O.). So ergibt es sich auch aus der auf verkehrsmedizinischem und -psychologischem Fachwissen (vgl. OVG Saarland, Beschl. v. 16.10.2000, Az.: 9 V 36/00, – juris –) beruhenden Anlage 4 zur FeV, Ziff. 9.2.
2. Die hier streitige Anordnung vom 12. August 2002, ein fachärztliches Gutachten beizubringen, ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ergangen. Danach ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens an, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen jedoch nicht vor. Vielmehr sind nur die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV erfüllt, nach dem die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens im Ermessen der Behörde steht, wenn der Betroffene Betäubungsmittel nach dem Betäubungsmittelgesetz widerrechtlich besitzt oder besessen hat. Das danach eingeräum...