Rechtskraft nein
Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausweisung Türke Assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht Verfahrensgarantien Überprüfung der Zweckmäßigkeit. Ausweisung und Abschiebungsandrohung
Leitsatz (amtlich)
1. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 entfällt nicht durch die Aufnahme einer dauerhaften selbständigen Erwerbstätigkeit (Abweichung von VGH Bad.-Württ., Urt. v. 21.07.2004 – 11 S 1303/04 –).
2. Eine Anfechtungsklage gegen eine Ausweisung nach deutschem Verwaltungsprozessrecht führt i. S. des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG nur zur gerichtlichen Überprüfung der „Gesetzmäßigkeit der Entscheidung” (Aufgabe der bisherigen Kammerrechtsprechung im Anschluss an EuGH, Urt. v. 02.06.2005, Rs. C-136/03 – Dörr und Ünal –; Abweichung von VGH Bad.-Württ., a. a. O.).
3. Die Anforderungen an die Einschaltung einer zuständigen Stelle i. S. des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG sind nicht erfüllt, wenn kein Vorverfahren nach § 68 VwGO durchgeführt wird.
Normenkette
ARB 1/80 Art. 7 S. 1, Art. 14 Abs. 1; VwGO § 68
Tenor
1. Die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 28. September 2004 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, ein am 7. November 1975 in Karlsruhe geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.
Er wuchs, gemeinsam mit seiner fünf Jahre jüngeren Schwester, bei seinen Eltern auf, die seit 1970 in Deutschland leben. Die Mutter des Klägers arbeitet seit dieser Zeit als städtische Angestellte, der Vater war bis zum Beginn seiner Frührente Ende 2003 ebenfalls ununterbrochen als Arbeitnehmer beschäftigt. Nach bestandenem Hauptschulabschluss besuchte der Kläger im Rahmen einer Lehre zum Karosserieund Fahrzeugbauer die Berufsschule. Am 24. Juni 1992 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Nachdem der Kläger die Ausbildung 1995 erfolgreich abgeschlossen hatte, war er zunächst einige Zeit arbeitslos. Daraufhin arbeitete er, jeweils mit Unterbrechungen von einigen Monaten, für verschiedene Arbeitgeber. Im Dezember 1999 machte er sich mit einem Gebrauchtwagenhandel sowie einem Serviceleistungsbetrieb selbständig.
Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisters bzw. der letzten strafrechtlichen Verurteilung wie folgt strafrechtlich aufgefallen:
- Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 21. Mai 1993 – 15 Ds 272/92 Jug. –-: Verfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 3 JGG eingestellt;
- Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 8. März 1994 – 15 Ds 23/94 Jug. –: Schuldspruch und Geldauflage wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis;
- Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 19. September 1995 – 15 Ds 132/95 Hw –: 6 Monate Jugendstrafe sowie Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu 40 DM wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung, versuchte Nötigung sowie gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Freiheitsberaubung;
- Strafbefehl des Amtsgerichts Karlsruhe vom 20. September 1995 – 15 Cs 164/95 Hw. –: Geldstrafe von 20 Tagessätzen von 15,– DM wegen Betrugs;
- Strafbefehl des Amtsgerichts Karlsruhe vom 29. September 1995 – 15 Cs 172/95 Hw –: Geldstrafe von 20 Tagessätzen von 15,– DM wegen Betrugs; Mit Beschluss vom 3. Januar 1996 aus Nrn. 4 und 5 gebildete Gesamtstrafe von 30 Tagessätzen zu 15 DM;
- Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 26. Juni 1997 – 11 Ls 33 Js 4352/97 –: Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu 50 DM wegen Beleidigung sowie Beleidigung in zwei Fällen sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte;
- Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 5. Mai 1999 – 52 Js 34424/98 –: Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 30 DM wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz;
- Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 6. Juli 2001 – 4 Cs 45 Js 12667 –, mit dem der Einspruch gegen den Strafbefehl des gleichen Gerichts vom 23. Mai 2001 verworfen wurde, der gegen den Kläger eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 80 DM wegen Bedrohung gemäß § 241 StGB erkannt hatte;
- Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Mai 2003 – 69 Js 151/00 –: Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln; die Strafe wurde für die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt;
- Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 2. Februar 2004 – 7 KLs 62 Js 19809/03 Hw. –: Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen Diebstahls.
Die strafrechtlichen Verurteilungen Nrn. 1 bis 7 waren von der Ausländerbehörde der Stadt Karlsruhe mit Schreiben vom 19. Oktober 1999 zum Anlass genommen worden, den Kläger ausländerrechtlich zu verwarnen. Wegen der Straftat Nr. 10 wurde der Kläger am 24. Juni 2003 vorläufig fest-und danach in Untersuchungshaft genommen. Dem Strafurteil liegt die Erkenntnis zugrunde, dass der Kläger zusammen mit einem Mittäter neun Gebrauchtfahrzeuge im Werte von insgesamt 320.560 EUR entwendete, von denen vier Fahrzeuge im Wert von 144.560 EUR wieder aufgefunden wurden. Das Gericht nahm einen be...