Rechtskraft nein

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Familienbezogener Abschiebungsschutz. Abschiebung. Antrag nach § 123 VwGO

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage rechtlicher Abschiebungshindernisse aufgrund (biologischer) Vaterschaft und (gemeinsamen) Sorgerechts (im Anschluss an BVerfG, Beschlüsse vom 09.04.2003 (NJW 2003, S. 2151 f.)

 

Normenkette

AuslG § 55 Abs. 2; GG Art. 6

 

Verfahrensgang

VG Stuttgart (Beschluss vom 16.03.2004; Aktenzeichen 5 K 2889/03)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. März 2004 – 5 K 2889/03 – geändert; der Antragsgegner wird im Weg der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000,– EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Der Antrag des Antragstellers beim Verwaltungsgericht, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, ihn abzuschieben – ein Begehren, das der Antragsteller mit der Beschwerde weiterverfolgt –, war der Sache nach (s. §§ 88, 86 Abs. 3 VwGO) darauf gerichtet, den Antragsgegner im Weg der einstweiligen Anordnung zur Erteilung einer Duldung zu verpflichten (s. dazu Beschlüsse des Senats vom 04.11.2003 – 13 S 2303/03 – und vom 02.05.2000 – 13 S 2456/99 –, EZAR 020 Nr.14). Mit diesem Inhalt war der Antrag zulässig und begründet. Ein Anordnungsgrund i.S.d. § 123 Abs. 1 VwGO war offensichtlich gegeben, da die Abschiebung des Antragstellers drohte. Auch sonstige Zulässigkeitsbedenken bestehen nicht; insbesondere lag ein entsprechendes Rechtsschutzinteresse des Antragstellers vor. In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob die früher zu seinen Gunsten ergangene einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18.09.2000 nach dem Ablauf der ihm aufgrund dieser Entscheidung erteilten Duldungen ihre rechtliche Wirkung verloren hatte. Immerhin wurde nach dem Tenor der Entscheidung vom 18.9.2000 die Abschiebung nicht generell, sondern nur „vorläufig” untersagt (zur eingeschränkten Rechtskraft von Entscheidungen nach § 123 VwGO s. Happ in Eyermann, VwGO, 2000, Rdnr. 75 zu § 123). Selbst wenn aber der ursprüngliche Eilbeschluss mangels eines Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO noch rechtliche Wirkungen entfaltete (s. Happ a.a.O.), beseitigt dies das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für einen neuen Eilantrag nicht. Es ergibt sich bereits daraus, dass sich der Antragsgegner offensichtlich an die frühere Entscheidung nicht mehr gebunden hielt.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller auch einen Anordnungsanspruch i.S.v. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht. Auch in diesem Zusammenhang kann der Senat offen lassen, ob dies bereits aus der früheren Eilentscheidung folgt; auch zum jetzigem Zeitpunkt ist nämlich ein Duldungsanspruch aus § 55 Abs. 2 AuslG glaubhaft gemacht. Nach dieser Vorschrift wird einem Ausländer u.a. dann eine Duldung erteilt, solange seine Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich ist.

Als rechtliches Abschiebungshindernis in diesem Sinne kommen im vorliegenden Fall ausschließlich die Vorschriften des Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK in Betracht. Auf seine elterlichen Rechte und den Gedanken des Familienschutzes hat der Antragsteller seinen Antrag unter Bezugnahme auf seine im September 1999 geborene und wegen der deutschen Mutter die deutsche Staatsangehörigkeit besitzende (s. § 4 Abs. 1 S. 1 StAG) Tochter gestützt, und er hat sich auch in einer der Vorschrift des § 146 Abs. 4 S. 3 VwGO (noch) entsprechenden Weise mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Fehlen einer Lebensgemeinschaft mit seiner Tochter auseinandergesetzt. Indem der Antragsteller in diesem Zusammenhang unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung der deutschen Mutter darauf hingewiesen hat, es bestehe ein tatsächlich ausgeübtes Umgangsrecht mit seiner Tochter, diese habe eine sehr enge und innige Beziehung zu ihm als ihrem Vater, und er besuche die Kindesmutter und seine Tochter mindestens einmal, oft sogar zweimal in der Woche, hat der Antragsteller der Sache geltend gemacht, das Verwaltungsgericht überspanne die Anforderungen an einen aus den Familienschutzvorschriften abgeleiteten Abschiebungsschutz, wenn es das Bestehen einer gegenwärtigen familiären Lebensgemeinschaft mit Tochter und Mutter verlange.

Mit diesem Vortrag hat die Beschwerde des Antragstellers Erfolg; auch der Senat ist der Auffassung, dass der Antragsteller, der die Vaterschaft für das im September 1999 geborene Kind bereits vor der Geburt (03.05.1999) anerkannt und eine gemeinsame Sorgerechtserklärung mit der Mutter des Kindes abgegeben hat (15.02.2000), aus Rechtsgründen aller Voraussicht nach nicht abgeschoben werden darf.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Familienschutzvorschriften des Art. 6 GG bzw. des Art. 8...

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