Entscheidungsstichwort (Thema)
Informationelle Selbstbestimmung. Daten personenbezogene. Amtshilfe. Offenbarung personenbezogener Daten
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Offenbarung personenbezogener Daten durch einen Sozialleistungsträger gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger zur Erfüllung der Aufgaben des anderen Sozialleistungsträgers ist nicht „erforderlich” und daher auch nicht zulässig, wenn und soweit der andere Sozialleistungsträger in der Lage ist, die Daten beim Betroffenen selbst zu erheben „Vorrang der Erhebung beim Betroffenen”).
2. Zum Verhältnis zwischen § 68 und § 69 SGB X.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1; SGB X §§ 68-69; SGB V §§ 253, 284; SGB IV § 280
Verfahrensgang
VG Karlsruhe (Gerichtsbescheid vom 20.08.1990; Aktenzeichen 2 K 765/89) |
Tenor
Soweit der Kläger die Verpflichtung zur Schadensersatzleistung beantragt hat, wird das Verfahren nach Rücknahme der Berufung eingestellt.
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 20. August 1990 – 2 K 765/89 – geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 23. August 1989 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 9. November 1989 werden aufgehoben.
Soweit die Berufung zurückgenommen wurde, trägt der Kläger die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens. Im übrigen trägt die Beklagte die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Weitergabe personenbezogener Daten.
Der Kläger erhielt von Juli 1987 bis Juli 1989 Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beklagten. Am 15.07.1989 wurde die Hilfe eingestellt, da er eine Beschäftigungsmöglichkeit als Subunternehmer bei einem Industrieberatungsunternehmen gefunden hatte; nach dem 05.10.1989 bezog der Kläger aufs neue Hilfe zum Lebensunterhalt.
Mit Schreiben vom 14.08.1989 bat die AOK Heidelberg, bei der der Kläger früher krankenversichert gewesen war, die Beklagte um eine Mitteilung, ob und in welcher Höhe der Kläger Sozialhilfe erhalte. Die Beklagte teilte der AOK durch ihren Sachbearbeiter am 16.08.1989 fernmündlich mit, daß der Kläger aus dem Sozialhilfebezug ausgeschieden sei. Gleichzeitig gab der Sachbearbeiter den neuen Arbeitgeber des Klägers an.
Am 18.08.1989 wies der Kläger die Beklagte durch seine Anwältin schriftlich darauf hin, daß die Beklagte durch ihre der AOK erteilte Auskunft ohne rechtfertigenden Grund gegen „das Datenschutzgesetz” verstoßen habe. Er forderte die Beklagte auf, in Zukunft keine Daten mehr an „Dritte” weiterzugeben. Durch die Weitergabe der Daten habe sich die Beklagte schadensersatzpflichtig gemacht. Der Schaden des Klägers bestehe in den erforderlich gewordenen Kosten in Höhe von 274,40 DM für die Inanspruchnahme der Anwältin. Mit Schreiben vom 23.08.1989 erklärte hierauf die Beklagte, die Mitteilung des Arbeitgebers sei nach § 68 Abs. 1 SGB X als Amtshilfe zulässig und rechtmäßig gewesen. Auch habe im Zeitpunkt der Offenbarung kein Grund zu der Annahme bestanden, daß hierdurch schutzwürdige Belange des Klägers verletzt werden könnten. Der Antrag auf Erstattung der Anwaltskosten sei daher abzulehnen. Das Schreiben wurde mit einer auf Widerspruchserhebung lautenden Rechtsmittelbelehrung versehen.
Am 26.09.1989 legte der Kläger gegen dieses am 29.08.1989 zugestellte Schreiben Widerspruch ein und begründete diesen wie folgt: Er zahle bei der AOK noch Schulden in Raten ab. Die AOK habe mit ihrem Auskunftsbegehren daher nur etwaige Vollstreckungsmöglichkeiten ihm gegenüber herausfinden wollen und damit Gläubigerinteressen verfolgt. Die Weitergabe der Daten hätte deshalb weder etwas mit den vom Sozialamt verfolgten Zwecken, derentwegen er die Adresse seines Arbeitgebers offenbart hätte, zu tun, noch habe sie der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe der AOK gedient. Auch hätte nicht – wie geschehen – der Sachbearbeiter ohne Rückfrage die Daten weitergeben dürfen; hierüber hätte vielmehr vom Stellvertreter der ersuchten Behörde entschieden werden müssen. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.1989 wies die Beklagte nach Anhörung sozial erfahrener Personen gemäß § 114 Abs. 2 BSHG den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus: Gemäß § 68 SGB X hätte die Anschrift des Arbeitgebers im Wege der Amtshilfe an die AOK als andere Sozialleistungsträgerin weitergegeben werden dürfen. Hierzu sei sie, die Beklagte, auch verpflichtet gewesen. Zur Zeit der Weitergabe hätte kein Grund zu der Annahme bestanden, daß schutzwürdige Belange des Klägers beeinträchtigt werden könnten. Insbesondere sei das Interesse des Klägers, sich der Beitreibung seiner Beitragsrückstände zu entziehen, kein schutzwürdiger Belang. Die AOK hätte dagegen ein qualifiziertes berechtigtes Interesse an der Weitergabe der Daten gehabt. Bei einer Abwägung hätten die Belange des Klägers zurücktreten müssen. Der Sachbearbeiter sei auch zur Weitergabe der Daten befugt gewesen: Bei der Stadt Heidelberg sei dem Ziel der Regelung des § 68 Abs. 2 SGB X, eine sorgfältige Prüfung der Vor...