Entscheidungsstichwort (Thema)
Bundesverfassungsrecht. Mutterschutzgesetz. Zustimmung zur Kündigung nach dem MuschG
Leitsatz (amtlich)
Betriebsstillegung als „besonder Fall” i.S. des § 9 Abs. 3 MuSchG, (absolutes) Kündigungsverbot gem. § 9 a MuSchG, Bedeutung der Ausschußberichte an den Bundestag für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung
- § 9 a MuSchG enthält ein absolutes Kündigungsverbot. Eine entsprechende Anwendung des § 9 Abs. 3 MuSchG ist nicht möglich.
- Zur Bedeutung der Ausschußberichte an das Bundestagsplenum für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung.
Normenkette
GG Art. 76 ff; Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages §§ 60, 74; MuSchG § 9 Abs. 3, § 9a
Verfahrensgang
VG Karlsruhe (Urteil vom 04.12.1979; Aktenzeichen II 310/79) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 4. Dezember 1979 – II 310/79 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines (mittlerweile erledigten) Bescheides des Gewerbeaufsichtsamtes …, durch welchen die beantragte Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Beigeladenen abgelehnt worden war.
Die Beigeladene war Arbeitnehmerin im Werk … der Klägerin, das zum Jahresende 1979 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen wurde. Am 9.5.1979 wurde die Beigeladene von einem Kind entbunden. Anschließend an die Schutzfrist für Wöchnerinnen nahm sie Mutterschaftsurlaub (§ 8 a des Mutterschutzgesetzes – MuschG –) in Anspruch.
Mit Schreiben vom 28.6.1979 beantragte die Klägerin beim Gewerbeaufsichtsamt … die Zulässigerklärung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Beigeladenen. Das Gewerbeaufsichtsamt lehnte den Antrag durch Bescheid vom 23.7.1979 ab, weil nach § 9 a MuSchG der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis während des Mutterschaftsurlaub und bis zum Ablauf von 2 Monaten nach Beendigung dieses Urlaubs nicht kündigen könne und eine Zulässigerklärung der Kündigung durch das Gewerbeaufsichtsamt nur für die Fälle des § 9, nicht aber des § 9 a MuSchG vorgesehen sei. Den Widerspruch der Klägerin wies das Gewerbeaufsichtsamt durch Bescheid vom 14.9.1979 zurück.
Mit ihrer am 2.10.1979 erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, der Kündigungsschutz der Beigeladenen ende am 9.1.1980, so daß frühestens zum 31.3.1980 eine Kündigung ausgesprochen werden könne. Eine Weiterbeschäftigung im Werk … über den 31.12.1979 hinaus sei aber wegen der Schließung des Werkes nicht möglich, eine Umsetzung in das Werk … habe die Beigeladene abgelehnt. Der Klägerin bleibe deshalb keine andere Wahl, als das Arbeitsverhältnis durch Kündigung zu beenden.
Das Gewerbeaufsichtsamt habe den Antrag zu Unrecht abgelehnt. § 9 Abs. 3 MuschG müsse auch für die Kündigung während des Mutterschaftsurlaubes (§ 9 a MuschG) gelten, denn diese Vorschrift regele die Kündigungsmöglichkeit gegenüber einer vom Mutterschutzgesetz geschützten Frau schlechthin. Es sei auch kein Grund dafür ersichtlich, den Kündigungsschutz einer Frau während des Mutterschaftsurlaubs stärker auszugestalten als den einer Schwangeren während der Schwangerschaft und der daran anschließenden Schutzfrist. Das Gewerbeaufsichtsamt habe übersehen, daß jedenfalls eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 3 MuSchG möglich und auch geboten gewesen wäre. Wollte man eine solche Möglichkeit ausschließen, wäre § 9 a MuSchG wegen Verstoßes gegen Art. 2, 3 und 14 des Grundgesetzes und den Grundsatz der Verhältnismöglichkeit verfassungswidrig.
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat die Klage – dem Antrag des beklagten Landes folgend – durch Urteil vom 4.12.1979 abgewiesen und hierzu ausgeführt: das Mutterschutzgesetz in seiner durch das Mutterschaftsurlaubsgesetz vom 25.6.1979 (BGBl. I S. 797) geänderten, hier anwendbaren Neufassung habe für die Zeit des Mutterschaftsurlaubs und bis zum Ablauf von 2 Monaten nach Beendigung dieses Urlaubs ein absolutes Kündigungsverbot eingeführt. Dies ergebe sich unmittelbar aus § 9 a MuSchG. In dieser Vorschrift sei eine ausnahmsweise Zulässigerklärung der Kündigung nicht vorgesehen. Daß § 9 Abs. 3 MuSchG sich nur auf das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 beziehe, nicht aber auch auf das nach § 9 a, ergebe sich zweifelsfrei aus der Gesetzessystematik. Die Eindeutigkeit der gesetzlichen Regelung verschließe die Möglichkeit einer Auslegung im Sinne der Rechtsauffassung der Klägerin. Eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 9 Abs. 3 MuSchG komme nicht in Betracht, weil das Gesetz insoweit keine Lücke enthalte. Der Fall, daß dem Arbeitgeber während des Mutterschaftsurlaubs und bis zum Ablauf von 2 Monaten nach Beendigung dieses Urlaubs eine Kündigung aus besonderen Gründen als unabweisbar erscheine, sei nicht ungeregelt geblieben. Vielmehr habe das Gesetz eine Entscheidung dahin getroffen, daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis in diesem Falle nicht kündigen dürfe. Auch den Gesetzesmaterialien sei eindeuti...