Entscheidungsstichwort (Thema)
Antragsbefugnis. Freier. Sperrbezirk. Prostitution. Drogen. Anbahnungsgespräche. Kontaktaufnahme. sexuelle Dienstleistungen. Jugendschutz. Gültigkeit der Straßen- und Anlagen-Polizeiverordnung vom 10.06.1999
Leitsatz (amtlich)
Eine Polizeiverordnung, die es im Sperrgebiet untersagt, zu Prostituierten Kontakt aufzunehmen, um sexuelle Handlungen gegen Entgelt zu vereinbaren, kann rechtmäßig sein, wenn das untersagte Verhalten unter Berücksichtigung der im Geltungsbereich der Polizeiverordnung bestehenden Verhältnisse regelmäßig und typischerweise zu unzumutbaren Beeinträchtigungen für unbeteiligte Frauen und Mädchen führt.
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 1; PolG Bad.Württ. §§ 1, 10; StrAnlPoVO der Stadt Stuttgart vom 10.06.1999
Tenor
Der Antrag des Antragstellers, § 1 Abs. 2 und 6 und § 4 der Polizeiverordnung der Ortspolizeibehörde Stuttgart zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf und an öffentlichen Straßen und in öffentlichen Anlagen in Stuttgart vom 10.06.1999 für nichtig zu erklären, wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Normenkontrollverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Antragsteller, Einwohner der Landeshauptstadt, wendet sich gegen diejenigen Teile der Straßen- und Anlagen-Polizeiverordnung der Stadt Stuttgart, die es Freiern untersagt, im Sperrbezirk zu Prostituierten Kontakt aufzunehmen, um sexuelle Handlungen gegen Entgelt zu vereinbaren.
Der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin erließ am 10.06.1999 die Polizeiverordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf und an öffentlichen Straßen und in öffentlichen Anlagen in Stuttgart (Straßen- und Anlagen-Polizeiverordnung – StrAnlPoVO –), der der Gemeinderat am 15.07.1999 zustimmte. Die Polizeiverordnung hat, soweit ihre Regelungen für das vorliegende Normenkontrollverfahren bedeutsam sind, folgenden Wortlaut:
§ 1
Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen
(1) Diese Polizeiverordnung gilt für öffentliche Straßen und deren Einrichtungen, für öffentliche Anlagen und deren Einrichtungen sowie für öffentliche Bedürfnisanstalten im Stadtgebiet Stuttgart.
(2) Sie gilt ferner im Geltungsbereich des Sperrbezirks gemäß der Rechtsverordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart über das Verbot der Prostitution im Innenstadtgebiet von Stuttgart vom 20.02.1978.
Der Sperrbezirk wird durch folgende Straßen bzw. Plätze begrenzt und schließt diese insoweit ein:
[wird aufgezählt]
[…]
(6) Der Sperrbezirk umfasst innerhalb seines Geltungsbereichs alle Orte, die öffentlich sind oder von der Öffentlichkeit her eingesehen werden können, wie z. B. Bahnhöfe, Postämter, öffentliche Anlagen (einschließlich Schutzhütten), Unterführungen, Brücken, Straßen, Plätze und Wege einschließlich Parkplätze, Bedürfnisanstalten, Gärten, Höfe und Hauseingänge.
§ 4
Verhalten im Sperrbezirk
Im Sperrbezirk ist es untersagt, zu Prostituierten Kontakt aufzunehmen, um sexuelle Handlungen gegen Entgelt zu vereinbaren.
§ 10
Inkrafttreten
Diese Polizeiverordnung tritt am Tage nach der amtlichen Bekanntmachung in Kraft. Gleichzeitig tritt die Polizeiverordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf und an öffentlichen Straßen und in öffentlichen Anlagen in Stuttgart vom 24.11.1994 außer Kraft.
Die Polizeiverordnung wurde im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 29.07.1999 bekannt gemacht.
Am 20.12.1999 hat der Antragsteller das Normenkontrollverfahren eingeleitet.
Er beantragt,
§ 1 Abs. 2 und 6 und § 4 der Polizeiverordnung der Ortspolizeibehörde Stuttgart zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf und an öffentlichen Straßen und in öffentlichen Anlagen in Stuttgart vom 10.06.1999 für nichtig zu erklären.
Zur Begründung trägt er vor: Seine Antragsbefugnis ergebe sich daraus, dass er private Kontakte mit Prostituierten unterhalte und daher Gefahr laufe, dass aufgrund der Polizeiverordnung gegen ihn als vermeintlichen Freier vorgegangen werde. Das in den angegriffenen Vorschriften verankerte „Freierverbot” finde keine Rechtsgrundlage in § 10 PolG und stehe dem aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht entgegen. Die Verhaltensweisen, die in den angegriffenen Bestimmungen untersagt werden, verursachten keine Gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht würde, auch liege keine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung vor. Um gegen Störungen, insbesondere durch motorisierte Freier vorzugehen, bedürfe es nicht der angegriffenen Vorschriften, weil es zu deren Bekämpfung ausreichende gesetzliche Regelungen gebe. Das Gleiche gelte, soweit hierdurch unbeteiligte Frauen und Mädchen vor Freiern geschützt werden sollen. Sowohl die vorhandenen Gesetze, wie auch die Sperrbezirksverordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart, wonach die öffentliche Ausübung der Prostitution in diesem Bereich verboten ist, reichten aus, um den nötigen Schutz Unbeteiligter zu gewährleisten. Von den Anbahnungsgesprächen zwischen Freiern und Prostituierte...