Rechtskraft nein

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Abstandsflächenunterschreitung. Nachbarschutz. Treu und Glauben. Vergleichbarkeit. Gefahrenabwehr. Bauvorbescheids

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Nachbar, der seinerseits den erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert, die Verletzung des Grenzabstands zu rügen, wenn die Verletzung nachbarschützender Abstandsregelungen durch das angegriffene Vorhaben nicht schwerer wiegt als der eigene Verstoß und in gefahrenrechtlicher Hinsicht keine völlig untragbaren Zustände entstehen.

 

Normenkette

LBO § 5; BGB § 242

 

Verfahrensgang

VG Stuttgart (Urteil vom 27.09.2001; Aktenzeichen 2 K 5311/00)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27.9.2001 – 2 K 5311/00 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen dem Beigeladenen erteilten Bauvorbescheid.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flst.-Nr. 78 (XXXXXX XX) in Freiberg (Ortsteil Beihingen), das mit einem dreigeschossigen, im Osten mit einem grenzständigen Anbau und im Übrigen zum Grundstück des Beigeladenen einen Abstand von ca. 1,00 einhaltenden Wohngebäude bebaut ist, sowie des Grundstücks Flst.-Nr. 67, auf dem sich im Süden auf Höhe des zweiten Obergeschosses ein grenzständiger überdachter Freisitz befindet.

Der Beigeladene ist Eigentümer des – östlich bzw. südlich der Grundstücke der Beigeladenen gelegenen – trapezförmigen Grundstücks Flst.-Nr. 79 (XXXXXXXX XX). Dieses ist mit einem zweigeschossigen Gebäude bebaut, das zu den Grundstücken der Klägerin – mit Ausnahme eines bis unmittelbar an das Grundstück Flst.-Nr. 78 reichenden, teilweise an den dortigen Anbau angebauten, sich aber nur bis zum ersten Obergeschoss erstreckenden Anbaus – einen Abstand von ca. 0,40 bis 0,90 m einhält.

Am 27.9.1999 beantragte der Beigeladene die Erteilung eines Bauvorbescheids zur „Aufstockung seines bestehenden Wohnhauses”. Nach den vorlegten Unterlagen möchte er das Gebäude um ein Wohngeschoss aufstocken und im Westen ein bis an die Grenze reichendes Treppenhaus anbauen, das im Erdgeschoss auf Stützen steht und vom ersten in das zweite Obergeschoss führt. Im Rahmen der Angrenzerbenachrichtigung hat die Klägerin Einwendungen erhoben.

Mit Bescheid vom 31.1.2000 – der Klägerin zugestellt am 3.2.2000 – erteilte die Beklagte dem Beigeladenen einen Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens. Hiergegen legte die Klägerin am 28.2.2000 Widerspruch ein. Auf Veranlassung des Regierungspräsidiums stellte die Beklagte mit Nachtrag vom 8.6.2000 fest, dass das Bauvorhaben zwar die nach § 5 Abs. 7 LBO vorgeschriebenen Abstandsflächen nicht einhalte, insoweit aber eine Abweichung nach § 56 Abs. 2 Nr. 1 LBO zuzulassen sei, da das Bauvorhaben in erster Linie der Schaffung zusätzlichen Wohnraums im Wege des Ausbaus bzw. der Aufstockung diene. Da auch die Nachbargrundstücke die geforderten Abstandsflächen erheblich unterschritten und damit in vergleichbarer Weise gegen die Vorschriften verstießen, könnten die Nachbarn den Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften nicht zu ihren Gunsten rügen. Hiergegen hat die Klägerin am 3.7.2000 Widerspruch eingelegt. Mit weiterem Nachtrag vom 27.9.2001 wurde von der Beklagten ergänzend unter brandschutzrechtlichen Gesichtspunkten festgestellt, dass die westliche Giebelwand im Dachgeschoss als Brandwand ohne Öffnungen herzustellen ist.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2000 wies das Regierungspräsidium Stuttgart die Widersprüche der Klägerin zurück. Zur Begründung ist ausgeführt, planungsrechtlich füge sich das Bauvorhaben in die nähere Umgebung ein und sei der Klägerin gegenüber nicht rücksichtslos. Bauordnungsrechtlich werde zwar der nachbarschützende Teil der Abstandsvorschriften nicht eingehalten. Dies könne von der Klägerin aber nicht geltend gemacht werden, da sie in vergleichbarem Umfang die Abstandstiefen nicht einhalte. Im Übrigen habe die Beklagte zu Recht eine Abweichung zugelassen. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 26.10.2000 zugestellt.

Am 16.11.2000 hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben, die vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 27.9.2001 – 2 K 5311/00 – abgewiesen wurde. Zur Begründung ist ausgeführt, das Bauvorhaben verstoße nicht gegen nachbarschützende Vorschriften. Zwar halte es die erforderliche Abstandsfläche zum Grundstück der Klägerin nicht ein. Der Beigeladene habe jedoch einen Anspruch auf eine Abweichung, die mit den öffentlichen Belangen vereinbar sei. Die öffentliche Sicherheit oder Ordnung werde nicht gefährdet. Dem Brandschutz sei durch den zweiten Nachtrag Rechnung getragen. Soweit die Klägerin eine Minderung der Wohnqualität geltend mache, werde die von § 3 LBO gezogene Grenze nicht überschritten. Bei dieser Sachlage könne dahinstehen, ob sie sich überhaupt a...

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