Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachbarrechtlicher Abwehranspruch gegen eine im vereinfachten Verfahren erteilte Baugenehmigung und zum Anspruch des Nachbarn auf Stilllegung der Baustelle

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren ist das Bauordnungsrecht nur im Falle beantragter Abweichungen zu prüfen.

2. Der Anbau von Küche, Flur, Hauswirtschaftsraum und überdachtem Freisitz an ein Wohnhaus fügt sich nach § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn der Maßstab der in der Norm genannten Kriterien nicht wesentlich überschritten wird.

3. § 7 Abs. 1 Satz 3 LBO 2004 hat die Möglichkeiten des Anbaus bis zur Grenze der Rücksichtslosigkeit erweitert.

 

Normenkette

ZPO §§ 294, 920 Abs. 2; VwGO §§ 80, 80a, 123; BauGB §§ 9a, 34, 212a Abs. 1; BauNVO §§ 16, 22-23; LBO 1988 § 6; LBO 1996 § 6 Abs. 1; LBO 2004 § 7; LBO § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 10b; LBO 2004 § 57 Abs. 2; LBO § 64 Abs. 2; SNachbRG § 10 Abs. 5

 

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Antragsteller.

Der Streitwert wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

 

Gründe

Die Antragsteller begehren einstweiligen Rechtsschutz gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zu einem Anbau von Küche, Flur und Hauswirtschaftsraum an das bestehende Wohnhaus und zur Errichtung eines überdachten Freisitzes sowie die Verpflichtung des Antragsgegner, die Baustelle der Beigeladenen stillzulegen.

I.

Die Antragsteller sind Eigentümer des mit einem zweigeschossigen Wohnhaus bebauten Anwesens A-Straße in A-Stadt.

An dieses Wohnhaus ist von der Straße aus gesehen linksseitig das Wohnhaus der Beigeladenen, E-Straße, im Wege des Überbaus angebaut; die Innenseite der Außenwand des Gebäudes der Beigeladenen befindet sich nach den Plänen 20 cm von der Grenze entfernt auf dem Grundstück der Antragsteller. Die Vorder- und Rückfront beider Häuser verlaufen jeweils in einer Flucht.

Mit dem im Streit stehenden Bauschein vom 09.10.2008 erteilte der Antragsgegner den Beigeladenen im vereinfachten Genehmigungsverfahren die Genehmigung zum “Anbau (Küche, Flur und Hauswirtschaftraum) an das bestehende Wohnhaus und Errichtung eines überdachten Freisitzes” auf ihrem Grundstück. Ausweislich der genehmigten Pläne ragt der Anbau von Küche, Flur und Hauswirtschaftsraum mit einem Abstand von 3,00 m zur Grenze zum Grundstück der Antragsteller 5,68 m tief in den rückwärtigen Grundstücksbereich hinein. Im dem Zwischenraum zwischen dem Anbau und der Grenze der Antragsteller ist der überdachte Freisitz mit Glaspultdach dargestellt. Das Glaspultdach liegt unmittelbar an der Grenze auf einer 3,85 m langen und zwischen 3,21 m (am Haus) und 2,65 m hohen Mauer auf. An dieser Stelle befindet sich auf dem Grundstück der Antragsteller nach den Plänen eine 2,06 m hohe und ebenfalls 3,85 m lange weitere Mauer, deren Abstand zur gemeinsamen Grenze an der Hausrückfront 47 cm und am Ende 20 cm beträgt und auf der eine großflächige, lichtdurchlässige Überdachung der Terrasse der Antragsteller aufliegt. Im Schnitt A-A heißt es, dass die Firsthöhe und die Dachneigung der Freisitzüberdachung der Beigeladenen derjenigen der Terrassenüberdachung der Antragsteller entspricht und auch die Traufenhöhe von 2,80 m auf beiden Seiten der Grenze identisch ist.

Mit einer Teilbaugenehmigung vom 18.09.2008 hatten die Beigeladenen zuvor die Genehmigung zur Errichtung der Fundamente, der Grundleitungen und der 8,45 m breiten und 5,98 (5) m tiefen Bodenplatte erhalten. Dagegen erhoben die Antragsteller am 17.10.2008 Widerspruch.

Gegen die ihnen am 15.10.2008 förmlich zugestellte Baugenehmigung erhoben die Antragsteller am 20.10.2008 beim Antragsgegner Widerspruch. Zur Begründung trugen sie mit dem am späten Nachmittag des 04.11.2008 per Telefax an den Antragsgegner gesandten Schreiben vom 31.10.2008 vor, das zugelassene Vorhaben füge sich im Verständnis von § 34 Abs. 1 BauGB nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, in der es einen vergleichbaren Anbau an die ansonsten einheitliche Bebauung in der Grundstückstiefe nicht gebe. Dieser Anbau unmittelbar an der Grundstücksgrenze beeinträchtige sie über das zumutbare Maß hinaus und verletze damit das Gebot der Rücksichtnahme. Die 3,29 m hohe Mauer entziehe ihrem Grundstück Licht, und zwar insbesondere im Bereich ihrer Terrasse. Die Mauer verstoße in ihrer derzeitigen Höhe gegen die Regelung des § 7 LBO und sei auch mit § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 10b LBO nicht zu vereinbaren, weil die die danach zulässige Höhe von 2,00 m übersteige. Auch der überdachte Sitzplatz sei mit den Regelungen der §§ 7 und 8 LBO nicht zu vereinbaren und verletze sie damit in ihren Rechten.

Am 04.11.2008 beantragten die Antragsteller beim Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung und die Stilllegung der Baustelle.

Bei Gericht haben die Antragsteller am 07.11.2008 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung und die Verpflichtung zur Stilllegung der Baustel...

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