Entscheidungsstichwort (Thema)
Klagebefugnis. Wohnungseigentum. Sondereigentum Miteigentum. Bruchteilseigentum. Gemeinschaftseigentum. geborene Ausübungsbefugnis. gekorene Ausübungsbefugnis. Brandschutz. Brandwand. Brandwandersatzwand
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Wohnungseigentümer ist nicht nur als Sondereigentümer seiner Wohnung, sondern auch als Miteigentümer am gemeinschaftlichen Eigentum (§ 1 Abs. 5 WEG) Nachbar im Sinne des öffentlichen Baunachbarrechts.
2. Soweit die Vorschriften über die Abstandsflächen und den Brandschutz Nachbarschutz für ein gemeinschaftliches Eigentum begründen, handelt es sich nicht um ein gemeinschaftsbezogenes Recht der Wohnungseigentümer im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 1 WEG, dessen Ausübung kraft Gesetzes der Gemeinschaft der Eigentümer übertragen ist (sogenannte geborene Ausübungsbefugnis).
3. Ein Wohnungseigentümer kann eine Verletzung eigener Rechte im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO durch eine Baugenehmigung daher auch in Bezug auf den Nachbarschutz des gemeinschaftlichen Eigentums geltend machen, sofern die Anfechtung der Baugenehmigung nicht durch einen Beschluss der Eigentümerversammlung vergemeinschaftet worden ist (sogenannte gekorene Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nach § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 2 WEG).
Normenkette
VwGO § 42 Abs. 2; WEG § 10 Abs. 6; LBO § 27 Abs. 4; LBOAVO § 7
Verfahrensgang
VG Freiburg i. Br. (Urteil vom 29.10.2015; Aktenzeichen 6 K 1019/14) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29. Oktober 2015 – 6 K 1019/14 – werden zurückgewiesen.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten behalten sie jeweils auf sich.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für einen Dachumbau.
Sie sind Miteigentümer des mit einem fünfgeschossigen Flachdachgebäude bebauten Grundstücks Flst.-Nr. …, G… Straße … in Konstanz und Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) G… Straße …. Die im zweiten Obergeschoss des Gebäudes gelegene, dem Grundstück der Beigeladenen zugewandte Wohnung steht in ihrem Sondereigentum. Das Gebäude hält zum Grundstück der Beigeladenen einen Grenzabstand von mehr als 12 m ein. In dem Grundstücksbereich entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze befinden sich die Stellplätze der WEG.
Die Beigeladene ist – gemeinsam mit ihrem Ehemann – Miteigentümerin des westlich an das Grundstück der Kläger angrenzenden Grundstücks Flst.-Nr. …, G… Straße …. Es ist ebenfalls mit einem Wohngebäude bebaut, das wahrscheinlich im Jahr 1872 mit einem Abstand von ca. 2 m zur gemeinsamen Grundstücksgrenze mit den Klägern errichtet worden ist.
Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Paradies I” (einfacher Bebauungsplan zu Stellplätzen, Nebenanlagen und zur Gestaltung) der Beklagten vom 6.10.1998. Dieser weist für die Grundstücke im hinteren Grundstücksbereich jeweils lediglich eine Fläche aus, die von oberirdischen Nebenanlagen, Stellplätzen und Garagen freizuhalten ist; weitere Festsetzungen enthält er nicht.
Am 2.1.2013 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau des Daches ihres Gebäudes. Das bestehende Walmdach sollte abgerissen und an seiner Stelle ein zweigeschossiger Dachaufbau mit zwei Giebeldächern errichtet werden. Im Zuge der Angrenzeranhörung wendeten die Kläger ein, der Abstand zwischen dem bestehenden Gebäude und ihrem Grundstück sei zu gering. Auch wenn das vorhandene Gebäude Bestandsschutz genieße, gelte das nicht für den Neubau bzw. die Aufstockung. Der nunmehr entstehende Giebel in Richtung ihres Grundstücks erfordere eine Vergrößerung der Abstandsfläche auf dem Grundstück. Der Eintragung einer Baulast stimmten sie nicht zu. Der Umbau werde ca. 2 m höher als das bestehende Gebäude und stelle aufgrund der massiven Bauweise mit großem Giebel und Balkonüberbauten einen nicht zu akzeptierenden Eingriff dar bzw. sei verunstaltend.
Am 18.3.2013 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung und wies die Einwendungen der Kläger zurück. Unter Anlage II „Besondere Auflagen und Bedingungen” wurde unter Nr. 5 ausgeführt, an der vorhandenen, die Abstandsfläche unterschreitenden, aber Bestandsschutz genießenden Wand werde nichts verändert. Da das Giebeldach keine größere Neigung als 45° aufweise, sei es nicht anzurechnen. Unter Nr. 6 wurde geregelt, dass die nach dem Abbruch des bestehenden Dachstuhls verbleibende Wand zum Grundstück Flst.-Nr. … nicht erhöht werden dürfe.
Die Kläger erhoben am 2.4.2013 Widerspruch. Sie trugen vor, das Bauvorhaben halte nicht den erforderlichen Grenzabstand ein. Außerdem sei der Brandschutz nicht gewährleistet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.3.2014 wies das Regierungspräsidium Freiburg den Widerspruch der Kläger mit der Maßgabe zurück, Nr. 6 de...