Rz. 12
In diesem Spannungsverhältnis zwischen Testierfreiheit einerseits und Verwandtenerbrecht andererseits steht das Pflichtteilsrecht. Es beschränkt die Testierfreiheit des Erblassers, indem es den nahen Angehörigen eine Mindestteilhabe am Vermögen des Erblassers sichert.
Rz. 13
Der BGH vertrat bereits in der Vergangenheit – ebenso wie die überwiegende Meinung im zivil- und verfassungsrechtlichen Schrifttum – stets die Auffassung, das Pflichtteilsrecht stelle einen Bestandteil der grundgesetzlich gewährleisteten Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG dar. Der BGH war sogar so weit gegangen, dass bei einer Pflichtteilsentziehung wegen körperlicher Misshandlung des Erblassers (§ 2333 Nr. 2 BGB a.F.) mit Rücksicht auf das verfassungsrechtliche Übermaßverbot eine konkrete Abwägung der gegen den Pflichtteilsberechtigten erhobenen Vorwürfe und dem Gewicht der Pflichtteilsentziehung zu erfolgen habe. Das Bundesverfassungsgericht war lange Zeit einer ausdrücklichen Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteilsrechts ausgewichen. Eine Verfassungsbeschwerde, die die Verfassungswidrigkeit des Pflichtteilsrechts rügte, wurde im August 2000 wegen mangelnder grundsätzlicher Bedeutung (§ 93a BVerfGG) nicht zur Entscheidung angenommen. Erst mit Beschl. v. 19.4.2005 hat sich das Bundesverfassungsgericht schließlich umfassend zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Pflichtteilsrechts geäußert. Insoweit ist Folgendes festzuhalten: Das Bundesverfassungsgericht stellt klar, dass die durch das Pflichtteilsrecht gewährleistete bedarfsunabhängige und grundsätzlich unentziehbare wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass nicht nur mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sondern sogar zu den tragenden Strukturprinzipien des durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG von Verfassungs wegen geschützten Kerngehalts des deutschen Erbrechts zählt. Das Bundesverfassungsgericht setzt hier seine Begründung des Nichtannahmebeschlusses aus dem Jahr 2000 fort. Dort hatte das Gericht bereits das Prinzip des Verwandtenerbrechts zum "grundlegenden Gehalt" der Erbrechtsgarantie gezählt und darauf hingewiesen, dass auch die Erbrechtsgarantie "nicht das (unbedingte) Recht, den vorhandenen Eigentumsbestand von Todes wegen ungemindert auf Dritte zu übertragen" beinhalte.
Rz. 14
Trotz der Eindeutigkeit der Aussagen ist die – zum Großteil durch historische Betrachtungen geprägte – Begründung des Bundesverfassungsgerichts dogmatisch nur eingeschränkt überzeugend bzw. konturlos. In der Literatur wurde sie daher ohne größere Begeisterung aufgenommen. Vor dem Hintergrund dieser Begründungsmängel ist davon auszugehen, dass auch zukünftig die Diskussion über den Inhalt und die Ausgestaltung des gesetzlichen Pflichtteilsrechts weiter fortgesetzt werden wird.