Leitsatz

Ist ein Rechtsanwalt infolge vorhersehbarer Erkrankungen gehindert, fristwahrende Schriftsätze zu fertigen, muss er durch Bestellung eines Vertreters für deren Erledigung sorgen oder zumindest in anderer Weise sicherstellen, dass rechtzeitig Fristverlängerung beantragt werden kann.

 

Sachverhalt

In der zu entscheidenden Sache war die Berufungsbegründung verspätet beim LG eingegangen. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags hat die Klägerin vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter leide seit einiger Zeit unter sporadisch auftretenden akuten Sehstörungen, die dazu führten, dass er nicht einmal mehr das Schriftbild in Akten und Büchern erkennen könne. Deshalb habe ihr Prozessbevollmächtigter sich in den letzten Monaten zahlreichen medizinischen Untersuchungen unterziehen müssen. Die Berufungsbegründung sei am Tag des Fristablaufs, einem Freitag, weitgehend fertig gestellt gewesen und habe nur noch einer Überarbeitung bedurft. Als ihr Prozessbevollmächtigter die Berufungsbegründung nach Büroschluss habe rechtzeitig fertig stellen wollen, seien erneut akute Sehstörungen aufgetreten, weshalb sie erst am folgenden Montag vorgelegt werden konnte. Aufgrund der Sehstörungen habe ihr Prozessbevollmächtigter auch keinen weiteren Verlängerungsantrag innerhalb der Frist mehr abfassen können. Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG, das den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen hat.

 

Entscheidung

Nach ständiger Rechtsprechung schließt die Krankheit eines Prozessbevollmächtigten das Verschulden an einem Fristversäumnis nur dann aus, wenn die Erkrankung für den Prozessbevollmächtigten nicht vorhersehbar war[1]. Diese Voraussetzung war schon auf der Basis des Sachvortrags im Wiedereinsetzungsantrag nicht erfüllt. Nachdem die massiven Sehstörungen wiederholt plötzlich aufgetreten waren, musste der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auch dann, wenn über zwei Monate hinweg und nach Verordnung einer Brille bis zum Fristablauf keine Sehstörung mehr aufgetreten war, noch damit rechnen, dass Sehstörungen wieder eintreten können. Er war deshalb verpflichtet, durch Bestellung eines Vertreters für die Erledigung fristgebundener Arbeiten zu sorgen oder zumindest sicherzustellen, dass rechtzeitig ein Fristverlängerungsantrag gestellt werden konnte.

 

Praxishinweis

Erneut hat der BGH sehr hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsbeistands gestellt. De facto muss ein chronisch kranker Berufsangehöriger durchgängig dafür sorgen, dass sich bei drohenden Fristabläufen bis zur Erledigung der Rechtsmittelbegründung ein geeigneter fachkundiger Vertreter bereit hält, um bei krankheitsbedingten Ausfällen unverzüglich tätig zu werden.

 

Link zur Entscheidung

BGH-Beschluss vom 10.5.2006, XII ZB 145/05

[1] Vgl. etwa BGH-Beschlüsse vom 11.3.1991, II ZB 1/91, VersR 1991, S. 1270; vom 26.2.1996, II ZB 7/95, NJW 1996, S. 1540

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