Sachverhalt
Bei dem bulgarischen Verfahren ging es um die Versagung des Vorsteuerabzugs aus innergemeinschaftlichen Erwerben wegen der Verletzung von Registrierungspflichten nach bulgarischem Recht. Die Klägerin (ein bulgarisches Transportunternehmen) erwarb am 14.11.2008 von einem spanischen Transportunternehmen E mehrere gebrauchte Lkw, die auf die Klägerin zugelassen wurden. E meldete die innergemeinschaftliche Lieferung im VIES-System an. Zunächst schlossen die Vertragsparteien eine Leasingvereinbarung ab, wonach das Eigentum an den Fahrzeugen nach Abschluss der Zahlung des Gesamtkaufpreises gemäß dem Tilgungsplan übertragen werden sollte. In der Folge vereinbarten die Parteien, dass die Fahrzeuge an die Klägerin verkauft würden und die Zahlung binnen 6 Monaten ab dem 1.6.2009 in Form von Transportleistungen der Klägerin für E erfolgen sollte. Die Klägerin gab eine Erklärung über die freiwillige Registrierung nach Art. 100 Abs. 1 des bulgarischen MwStG ab. Im Juni 2009 erstellte die Klägerin das Protokoll gemäß Art. 117 i.V.m. Art. 84 BG-MwStG über den innergemeinschaftliche Erwerb, berechnete die Steuer und machte entsprechend den Vorsteuerabzug geltend.
Die bulgarische Finanzbehörde ging von Folgendem aus: am 14.11.2008 habe die Klägerin einen innergemeinschaftlichen Erwerb bewirkt, die keine neuen Fahrzeuge und keine verbrauchsteuerpflichtigen Waren seien, so dass die Ausnahmen des Art. 99 Abs. 5 BG-MwStG nicht anwendbar seien. Der Gesamtwert des innergemeinschaftlichen Erwerbs übersteige 20 000 BGN. Die Klägerin unterliege daher der Registrierung nach Art. 99 Abs. 1 BG-MwStG und sei verpflichtet den innergemeinschaftlichen Erwerb zu berechnen. Dies sei nicht bereits im November 2008, sondern erst im Juni 2009 geschehen. Wegen der verspäteten Steuerberechnung wurden Zinsschulden festgesetzt und der Vorsteuerabzug wurde aufgrund Art. 70 Abs. 4 BG-MwStG wegen der Nichteinhaltung der in Art. 72 Abs. 1 BG-MwStG vorgesehenen Frist für die Ausübung des Vorsteuerabzugs versagt.
Entscheidung
Der EuGH hat mit Bezug auf seine ständige Rechtsprechung und vor allem mit Bezug auf sein Urteil v. 8.5.2008, C-95/07 und C-96/07 (Ecotrade), EuGHE 2008, I-3457, entschieden, dass Art. 179 Abs. 1 und die Art. 180 und 273 MwStSystRL der bulgarischen Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs grundsätzlich nicht entgegenstehen, es sei denn der Vorsteuerabzug wird praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert. Dies hat das nationale Gericht zu beurteilen, das u. a. die spätere erhebliche Verlängerung der Ausschlussfrist in Bulgarien und die Dauer eines Mehrwertsteuer-Registrierungsverfahrens berücksichtigen kann, das zur Ausübung des Vorsteuerabzugs innerhalb derselben Frist durchzuführen ist.
Der EuGH hatte in der Sache Ecotrade im Zusammenhang mit der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bereits entschieden, dass eine Ausschlussfrist, deren Ablauf als Sanktion für einen nicht hinreichend sorgfältigen Unternehmer, der den Vorsteuerabzug nicht geltend gemacht hat, den Verlust des Abzugsrechts zur Folge hat, nicht als mit der MwStSystRL unvereinbar angesehen werden kann, sofern diese Frist zum einen gleichermaßen für die entsprechenden auf dem innerstaatlichen Recht beruhenden steuerlichen Rechte wie für die auf dem Unionsrecht beruhenden Rechte gilt (Äquivalenzgrundsatz) und sie zum anderen die Ausübung des Vorsteuerabzugs nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert (Effektivitätsgrundsatz).
Die weitere Vorlagefrage, ob der Grundsatz der steuerlichen Neutralität einer Sanktion entgegensteht, die darin besteht, das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen und einen Säumniszuschlag zu erheben, wenn die Steuer verspätet gezahlt wird, hat der EuGH prinzipiell bejaht. Er bezieht sich auf seine frühere Rechtsprechung, wonach die Mitgliedstaaten bei Verletzung der Verpflichtungen zur Sicherstellung einer genauen Erhebung der Steuer und Verhinderung von Steuerhinterziehung zwar Sanktionen erlassen dürfen. Diese dürfen aber nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels erforderlich ist. Eine verspätete Zahlung der Steuer (im Vorlagefall die Steuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb) kann für sich genommen nicht einer Steuerhinterziehung gleichgesetzt werden. Ein Säumniszuschlag kann nach dem Urteil jedoch eine geeignete Sanktion darstellen, sofern er nicht unverhältnismäßig ist. Ein Säumniszuschlag wäre unverhältnismäßig, wenn der Zuschlag der abziehbaren Vorsteuer entspräche, so dass dem Unternehmer sein Recht auf Vorsteuerabzug letztlich genommen würde. Die Verhältnismäßigkeit einer Sanktion ist vom nationalen Gericht zu beurteilen.
Hinweis
Der EuGH war erneut aufgerufen, sich dazu zu äußern, unter welchen formalen Bedingungen der Vorsteuerabzug versagt werden kann. Nach bisheriger Rechtsprechung bezieht sich der Spielraum der Mitgliedstaaten nicht auf allgemeine Ausschlüsse und entbindet die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung, Vorsteuerausschlüsse hi...