Leitsatz
Die Art. 6 Abs. 2 und 17 Abs. 2 und 6 der 6. EG-RL sind dahin auszulegen, dass sie einer vor In-Kraft-Treten dieser Richtlinie erlassenen nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens entgegenstehen, die es ausschließt, dass ein Steuerpflichtiger ein Investitionsgut, das zum Teil für Zwecke des Unternehmens und zum Teil für andere Zwecke verwendet wird, insgesamt seinem Unternehmen zuordnet und gegebenenfalls die beim Erwerb dieses Gegenstands geschuldete Mehrwertsteuer vollständig und sofort abzieht.
Normenkette
Art. 6 Abs. 2 der 6. EG-RL , 17 Abs. 1 und 2 der 6. EG-RL (vgl. § 3 Abs. 9a Nr. 1 und § 15 UStG)
Sachverhalt
Das Ehepaar Tijmens erwarb 1997 gemeinsam einen in den Niederlanden gelegenen Ferienbungalow, den sie zu 87,5 % kurzfristig vermieteten und im Übrigen privat nutzten. Die Tijmens machten – vergeblich – nicht nur 87,5 %, sondern 100 % der Vorsteuerbeträge geltend. Das niederländische Recht ließ den Vorsteuerabzug nur im Rahmen der unternehmerischen – nicht der privaten – Verwendung zu.
Entscheidung
Der EuGH hielt diese Einschränkung für unzulässig, auch wenn sie bereits vor In-Kraft-Treten der 6. EG-RL bestanden hatte.
Hinweis
Die Besprechungsentscheidung betrifft die Frage, inwieweit die Mitgliedstaaten berechtigt sind, nationale Regelungen zur Einschränkung des Vorsteuerabzug beizubehalten, die beim In-Kraft-Treten der 6. EG-RL in Bezug auf gemischt, d.h. teils privat, teils unternehmerisch genutzte Gegenstände bereits bestanden. Der EuGH zieht die Grenzen ganz eng.
Nach Art. 6 Abs. 2 werden den Dienstleistungen gegen Entgelt gleichgestellt:
a) die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, ... wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat, und
b) die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für seinen privaten Bedarf ...
Die Mitgliedstaaten können Abweichungen von diesem Absatz vorsehen, sofern solche Abweichungen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen.
In den Niederlanden bestand vor In-Kraft-Treten der 6. EG-RL eine nationale Vorschrift, die nicht zuließ, dass ein Investitionsgut, das zum Teil für Zwecke des Unternehmens und zum Teil für andere Zwecke verwendet wird, insgesamt seinem Unternehmen zugeordnet wird; dementsprechend sah die Regelung hinsichtlich des nicht zuordenbaren Teils auch keine Eigenverbrauchsbesteuerung vor. Die Kommission hielt die Beibehaltung einer solchen Regelung wegen der nach der 6. EG-RL zulässigen "Abweichungen" für denkbar.
Der EuGH hat sich dem nicht angeschlossen.
Er hat – nach den bisherigen Urteilen nicht überraschend (zuletzt EuGH, Urteil vom 21.4.2005, Rs. C-25/03, HE, Slg. 2005, I-0000, Randnr. 46) – daran festgehalten: der Steuerpflichtige kann – nach dem derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts – wählen, ob er einen teils unternehmerisch, teils privat genutzten Gegenstand voll oder nur teilweise seinem Unternehmen zuordnet und bei Zuordnung des ganzen Gegenstands die beim Erwerb dieser Gegenstände geschuldete Vorsteuer grundsätzlich vollständig und sofort abziehen (Rz. 24).
Dem korrespondiert die Besteuerung des Eigenverbrauchs. Zwar können die Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der 6. EG-RL insbesondere zu dem Zweck, die Verwaltungsverfahren für die Einziehung der Mehrwertsteuer zu vereinfachen, davon absehen, bestimmte Leistungen oder Verwendungen Dienstleistungen gegen Entgelt gleichzustellen (vgl. in diesem Sinn EuGH, Urteil vom 11.11.2003 in der Rechtssache C-155/01, Cookies World, Slg. 2003, I-8785, Randnr. 59).
Dies darf nach EuGH aber nicht dazu führen, dem Steuerpflichtigen das Recht zu nehmen, einen gemischt genutzten Gegenstand voll dem Unternehmen zuzuordnen mit der Folge des vollen Vorsteuerabzugs und damit korrespondierend der Verpflichtung der Versteuerung des Eigenverbrauchs (Rz. 28,29). Die Mitgliedstaaten durften nur bestimmte Gegenstände (z.B. gemischt genutzte Kfz) und bestimmte Dienstleistungen schon vor In-Kraft-Treten der 6. EG-RL, die sie nach nationalem Recht ganz oder teilweise vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen hatten, weiter vom Vorsteuerabzug ausschließen; sie durften aber nicht für alle gemischt genutzten Gegenstände einen Ausschluss beibehalten (ausführlich Rz. 30 bis 35).
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 14.07.2005, C-434/03. Charles und T. S. Charles-Tijmens –