Sachverhalt
Bei dem Verfahren ging es um die Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug. Es sollte geklärt werden, ob die 6. EG-Richtlinie der polnischen Regelung entgegensteht, wonach der Vorsteuerabzug nur dann geltend gemacht werden kann, wenn der Rechnungsaussteller als Unternehmer registriert ist.
Der Kläger, Inhaber eines Einzelunternehmens hatte von einer anderen Person steuerbare Marketingdienstleistungen empfangen. Diese Person war jedoch weder ihrer Verpflichtung nachgekommen, sich im Register für die Steuer auf Waren und Dienstleistungen eintragen zu lassen, noch hatte sie die MwSt auf die Marketingleistungen abgeführt. Gleichwohl hatte sie dem Kläger Rechnungen ausgestellt, die die erbrachten Dienstleistungen mit Steuerausweis belegten. Die polnische Finanzbehörde verweigerte dem Kläger den Vorsteuerabzug auf die Marketingleistungen, wobei unstreitig war, dass die fraglichen Dienstleistungen erbracht worden waren. Die Finanzbehörde begründete ihre Ablehnung des Vorsteuerabzugs damit, dass der Aussteller der streitigen Rechnungen nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert gewesen sei und dass die von ihm ausgestellten Rechnungen wegen der Nichterfüllung der in den anwendbaren nationalen Bestimmungen vorgesehenen Registrierungspflicht nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten.
Die Vorlagefragen richteten sich ausschließlich auf die Auslegung von Art. 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007 Art. 176 MwStSystRL). Nach dessen Unterabsatz 2 können die Mitgliedstaaten Ausschlüsse vom Vorsteuerabzug beibehalten, die in ihrem nationalen Recht vor Inkrafttreten der Richtlinie bestanden.
Nach dem Vorlagebeschluss sollte jedoch durch das Vorabentscheidungsersuchen auch das Verhältnis von Art. 4, 17 Abs. 1 und 18 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie geklärt werden. Nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie (ab 1.1.2007 Art. 178 Buchst. a MwStSystRL) muss ein Steuerpflichtiger zur Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts eine Rechnung besitzen, die bestimmte, in Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie (ab 1.1.2007 Art. 220 ff MwStSystRL) festgelegte Angaben enthält. Dazu gehört auch - wie das Vorlagegericht anführt - die USt-IdNr. des Steuerpflichtigen.
Zu den in Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie erforderlichen Rechnungsangaben hatte das Vorlagegericht festgestellt, dass die dem Kläger zugegangenen Rechnungen alle erforderlichen Informationen enthalten hätten. Aus den beim EuGH eingereichten Unterlagen und den Angaben der polnischen Regierung in der mündlichen Verhandlung ergab sich insbesondere, dass diese Rechnungen die Steueridentifizierungsnummer der anderen Person, die die Dienstleistungen erbracht hatte, enthielten, da die polnischen Steuerbehörden den Wirtschaftsteilnehmern unabhängig davon, ob diese einen Antrag auf Registrierung stellen, eine solche Identifizierungsnummer von Amts wegen zuteilen.
Entscheidung
Der EuGH hat auf dieser Grundlage zum Vorsteuerabzugsrecht des Klägers allgemein entschieden, dass diesem der Vorsteuerabzug nicht verwehrt werden konnte. Auch wenn Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie die Angabe der "Umsatzsteuer-Identifikationsnummer" verlangt, stelle die im Ausgangsfall zugeteilte Steueridentifizierungsnummer doch die Identifizierung des betreffenden Steuerpflichtigen sicher und genüge damit den Anforderungen des Art. 22 Abs. 3 Buchst. b dritter Gedankenstrich der 6. EG-Richtlinie.
Art. 22 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie sieht zwar die Verpflichtung der Steuerpflichtigen vor, die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung ihrer Tätigkeit anzuzeigen. Dies ermächtigt die Mitgliedstaaten aber nicht, wenn eine solche Anzeige unterbleibt, dem Unternehmer, der diese Anzeige unterlässt, den Vorsteuerabzug zu versagen (vgl. EuGH, Urteil v. 21.3.2000, C-110/98 bis C-147/98 (Gabalfrisa u. a.), EuGH, Urteil v. 21.10.2010, C-385/09 (Nidera Handelscompagnie). Dieses Verbot des Vorsteuerausschlusses überträgt der EuGH mit dem vorliegenden Urteil auch auf den Empfänger einer Dienstleistung desjenigen, der seine Anzeigepflichten verletzt hat.
Der EuGH hat auch die Frage, ob der Vorsteuerabzug auf der Basis der sog. Stand-still-Klausel gemäß Art. 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie verweigert werden konnte, verneint. Mit Bezug auf seine frühere Rechtsprechung stellt der EuGH fest, dass mit der den Mitgliedstaaten in Art. 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie eingeräumten Befugnis kein uneingeschränktes Ermessen verbunden ist, alle oder praktisch alle Gegenstände und Dienstleistungen vom Vorsteuerabzug auszuschließen und so die Vorsteuerabzugsregeln praktisch gegenstandlos zu machen. Der Spielraum der Mitgliedstaaten bezieht sich somit nicht auf allgemeine Ausschlüsse und entbindet die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung, Vorsteuerausschlüsse hinreichend zu konkretisieren (vgl. EuGH, Urteil v. 5.10.1999, C-305/97 (Royscot u. a.), EuGH, Urteil v. 14.7.2005, C-434/03 (Charles und Charles-Tijmens). Die polnische Regelung geht nach dem Urteil über das nach Art. 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie zulässig...