Sachverhalt
Bei dem Verfahren ging es um die Auslegung des Begriffs "missbräuchliche Praxis" im Sinne der EuGH-Urteile v. 21.2.2006, C-255/02 (Halifax u. a.), v. 21.2.2008, C-425/06 (Part Service) und v. 22.5.2008, C-162/07 (Ampliscientifica und Amplifin).
Die Klägerin und eine andere Gesellschaft (CARL) sind Tochtergesellschaften der Gesellschaft CML. Zusammen bilden sie den C-Konzern. CARL und CML sind Versicherungsunternehmen mit einer Vorsteuerabzugsberechtigungsquote von nur ca. 1 %. Die Klägerin ist ein Leasing-Unternehmen, das Gegenstände erwirbt und verleast.
Der Rechtsstreit entzündete sich daran, dass eine Gesellschaft S, die nicht zur C-Gruppe gehört, von der Klägerin Gegenstände leaste, die S an CML und CARC weiter verleaste, was die einzige unternehmerische Tätigkeit von S darstellte. Durch diese Konstruktion mussten CMRL und CARC benötigte Unternehmensgegenstände nicht unmittelbar erwerben, was zu einem Vorsteuerausschluss von 99 % geführt hätte. Durch das Leasing-Modell konnten CML und CARC die nicht abzugsfähigen Vorsteuern über den Leasing-Zeitraum staffeln.
Die britische MwSt-Behörde erkannte den Vorsteuerabzug der Klägerin auf den Erwerb der verleasten Wirtschaftsgüter nicht an. Bei den Leasing-Umsätzen habe es sich nicht um eine wirtschaftliche Tätigkeit gehandelt, bzw. die Leasing-Umsätze seien rechtsmissbräuchlich gewesen. Nach Ergehen des EuGH-Urteils v. 21.2.2006, C-255/02 (Halifax u. a.) gab die Behörde ihren Standpunkt, dass die Leasing-Umsätze der Klägerin keine wirtschaftliche Tätigkeit seien, auf und machte nur noch geltend, die Umsätze seien missbräuchlich.
Das Vorlagegericht stellte dem EuGH u.a. die Frage, ob die Gestaltung, dass ein Unternehmen auf Leasingumsätze zurückgreift, an denen eine zwischengeschaltete dritte Gesellschaft beteiligt ist, anstatt die Wirtschaftsgüter unmittelbar zu erwerben, dazu führt, dass ein Steuervorteil erlangt wird, der mit den Zielen der 6. EG-Richtlinie unvereinbar ist und ob, soweit dieses Unternehmen im Rahmen seiner normalen Geschäftstätigkeit keine Leasingumsätze tätigt, die gewählte Gestaltung eine missbräuchliche Praxis darstellt.
Entscheidung
Unter Bezugnahme auf sein Urteil v. 21.2.2006, C-255/02 (Halifax u. a.) hat der EuGH einen Rechtsmissbrauch im vorliegenden Fall im Prinzip verneint. Der Steuervorteil, der sich daraus ergibt, dass ein Unternehmen auf Leasingumsätze zurückgreift, anstatt Wirtschaftsgüter unmittelbar zu erwerben, stellt nach der Entscheidung prinzipiell keinen Steuervorteil dar, der mit den Bestimmungen der 6. EG-Richtlinie unvereinbar ist. Allerdings müssen - so das Urteil - die Vertragsbedingungen der gewählten Gestaltung, insbesondere die Höhe der Leasinggebühr, normalen Marktbedingungen entsprechen und die Beteiligung einer zwischengeschalteten dritten Gesellschaft an diesen Umsätzen darf nicht geeignet ist, ein Hindernis für die Einhaltung dieser Bedingungen zu bilden. Der Umstand, dass das Unternehmen im Rahmen seiner normalen Geschäftstätigkeit keine Leasingumsätze tätigt, ist für die Frage eines etwaigen Rechtsmissbrauchs ohne Belang.
Ob die gewählte Gestaltung den normalen Marktbedingungen entspricht, muss das nationale Gericht prüfen. Sollte das Gericht zum Ergebnis kommen, dass Rechtsmissbrauch vorgelegen hat, sind die von der Klägerin getätigten Leasingumsätze in der Weise neu zu definieren, dass auf die Lage abgestellt wird, die ohne die missbräuchlichen Vertragsbedingungen und/oder die Mitwirkung der dritten Gesellschaft dieser Gesellschaft bestanden hätte.
Das Urteil ist insofern eine Weiterentwicklung der Halifax-Rechtsprechung des EuGH, als der Gerichtshof eine bestimmte Umsatzart auf etwaigen Rechtsmissbrauch geprüft hat. Nach dem Urteil ist es grundsätzlich nicht missbräuchlich, statt des Erwerbs eines Wirtschaftsgutes dieses von einem Dritten zu leasen. Im Bereich des Finanz- und Versicherungssektors mit (den Vorsteuerabzug ausschließenden) steuerfreien Ausgangsumsätzen können die Höhe der Leasingrate bzw. die Laufzeit des Leasingvertrags oder andere Vertragsbedingungen im Einzelfall jedoch rechtsmissbräuchlich sein.
Der EuGH hat gleichzeitig § 42 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 AO und die dazu ergangene BFH-Rechtsprechung im Prinzip bestätigt. Missbrauch i.S. der AO liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Soweit nicht ein Einzelsteuergesetz zur Verhinderung von Steuerumgehungen greift, entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Nach der BFH-Rechtsprechung liegt ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO vor, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die - gemessen an dem erstrebten Ziel - unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nicht...