Leitsatz
1. Ein Steuerpflichtiger kann grundsätzlich ein Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer geltend machen, die für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung entrichtet worden ist oder geschuldet wird, wenn das anwendbare nationale Recht die Übertragung eines Anteils an einem gemeinschaftlichen Recht an einer Erfindung, mit dem Rechte an der Erfindung verliehen werden, zulässt.
2. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand sämtlicher tatsächlicher Umstände, die für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dienstleistung kennzeichnend sind, festzustellen, ob hinsichtlich des Rechts auf Vorsteuerabzug ein Rechtsmissbrauch vorliegt oder nicht.
Normenkette
Art. 9 Abs. 1, Art. 168 RL 2006/112/ EG (§ 2 Abs. 1, § 15 UStG)
Sachverhalt
Tanoarch (T) und V hatten zusammen ein Patent angemeldet. Vor Eintragung des Patents trat V an T 50 % seines Anteils an dem Patent gegen Entgelt ab. T machte die Vorsteuer geltend. V führte die USt nicht ab und wurde liquidiert. Beide Gesellschaften waren durch denselben Geschäftsführer vertreten und fast alle der Anmelder hatten denselben Wohnsitz.
Entscheidung
Die Entscheidung des EuGH ließ durchscheinen, dass die Beurteilung als Missbrauch im Besprechungsfall naheliegt, weil für die fragliche Erfindung noch kein Patent eingetragen wurde, das Recht an der Erfindung mehreren Personen zustand, von denen fast alle unter derselben Anschrift ansässig sind und von ein und derselben natürlichen Person vertreten werden, dass die Umsatzsteuer nicht entrichtet und dass die Gesellschaft, die den Anteil an dem gemeinschaftlichen Recht übertragen hat, ohne Liquidation aufgelöst wurde.
Hinweis
1. Wirtschaftliche Tätigkeiten i.S.d. Unionsrechts sind u.a. alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden. Die Begriffe "Lieferungen von Gegenständen" und "Dienstleistungen" haben sämtlich objektiven Charakter und sind unabhängig von Zweck und Ergebnis der betroffenen Umsätze anwendbar. Dem entspricht trotz unterschiedlichen Wortlauts § 2 Abs. 1 UStG mit der Definition des Unternehmers. Dass Gegenstand eines Umsatzes auch die Übertragung eines künftigen Rechts oder dem Übertragenden noch nicht gehörenden Rechts sein kann (z.B. die Veräußerung von Gegenständen, die erst noch beschafft werden müssen oder – wie im Besprechungsfall – die Übertragung von Rechten aus einem noch nicht eingetragenen Patent), ist nicht überraschend.
2. Kernfrage im Besprechungsfall war die Frage, ob lediglich eine "steueroptimierende" Gestaltung vorlag oder Ziel der Verträge zwischen zwei Gesellschaften mit nahestehenden Personen die Erlangung eines Vorsteuerabzugs bei Nichtzahlung der USt war.
3. Rechtsmissbräuchlich sind – ganz allgemein – rein künstliche Gestaltungen, die jeder wirtschaftlichen Realität entbehren und allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erhalten. In Bezug auf die USt bedeutet dies, dass zu prüfen ist, ob die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der RL und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und ob aus objektiven Anhaltspunkten ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen lediglich ein Steuervorteil bezweckt wird. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls und daher vom nationalen Gericht zu prüfen und zu entscheiden.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 27.10.2011 – C-504/10 – Tanoarch –