Leitsatz

Ein Steuerpflichtiger, der nach Art. 21 Nr. 1 der 6. EG-Richtlinie … als Empfänger einer Dienstleistung die darauf entfallende MwSt schuldet, braucht für die Ausübung seines Vorsteuerabzugsrechts keine (nach Art. 22 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie ausgestellte) Rechnung zu besitzen.

 

Problematik

Der Fall betrifft die häufige Problematik in der Baubranche, dass zur Durchführung von Baumaßnahmen Arbeiterkolonnen eingestellt werden (häufig Niederländer oder Engländer), wobei es im vorliegenden Fall wohl zu einer sog. unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung mit lohnsteuer- und sozialversicherungsrechtlichen Unregelmäßigkeiten kam.

Ein Bauunternehmer in Deutschland setzte im Streitjahr 1995 englische Bauarbeiter ein, die ihm von einem Unternehmen unter der Fa. "J. Bau Ltd. Building Contactors" zur Verfügung gestellt worden waren. Diese hatte eine Kontaktadresse in den Niederlanden. Nach den Ermittlungen des Finanzamts gab es eine "J. Building Contractors Ltd.", die 1992 in das englische Handelsregister eingetragen worden war unter einer Sitzadresse, die auf den ersten Rechnungen angegeben war. Die Rechnungen wiesen keine Umsatzsteuer aus, sondern enthielten den Vermerk "Nullregelung Par. 52 UStDV vereinbart" (im Streitjahr galt noch das sog. Abzugsverfahren).

Das Finanzamt ging davon aus, dass nicht die abrechnende Fa., sondern unbekannte Hintermänner die leistenden Unternehmer seien und nahm den Bauunternehmer mit Haftungsbescheid gem. § 55 UStDV a.F. für die USt auf die Leistungen in Anspruch (d.h. der Leistungsempfänger wurde im Abzugsverfahren für die Steuerschuld des Leistenden in Anspruch genommen, ohne diese als Vorsteuer abziehen zu dürfen). Das Finanzamt hielt an dieser Auffassung auch im Revisionsverfahren fest. Der BFH legte die Sache wegen gemeinschaftsrechtlicher Auslegungsfragen dem EuGH vor, der jetzt entschied (s. Leitsatz).

 

Konsequenzen für die Praxis

Die o.g. Antwort des EuGH (mit einer rechtstechnisch komplizierten Begründung) hat für das Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers, der Steuerschuldner ist, folgende günstige Auswirkung: Wenn das Finanzamt den Leistungsempfänger nach den gesetzlichen Voraussetzungen als Steuerschuldner in Anspruch nimmt, darf es für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nicht als zusätzliche Voraussetzung verlangen, dass der Leistungsempfänger eine (nach Art. 22 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie) ausgestellte Rechnung besitzt. Ein derartiges Erfordernis würde nämlich dazu führen, dass er einerseits die Steuer schuldet, andererseits aber Gefahr läuft, diese nicht abziehen zu können.

Die Rechnung als Ausübungsvoraussetzung für den Vorsteuerabzug im allgemeinen Besteuerungsverfahren wird von Art. 18 der 6. EG-Richtlinie in diesen besonderen Fällen nicht verlangt. Zwar besteht seit der Neufassung durch die sog. Rechnungsrichtlinie v. 20.12. 2001 auch in den Fällen der Steuerschuldverlagerung die Pflicht zur Ausstellung einer Rechnung mit entsprechender Angabe ( nach Art. 22 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie). Der EuGH wies aber darauf hin, dass diese Bestimmung nicht die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug regelt. Somit gilt das Urteil auch für den gegenwärtigen Rechtszustand, aufgrund dessen zum 1. 1. 2004 die Rechnungsangaben in § 14 UStG umgestellt wurden (Rechnung).

Für das UStG ist davon auszugehen, dass auch nach dem Wechsel vom Abzugsverfahren zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers gem. § 13b UStG (Steuerschuldnerverfahren) und der Neuregelung der Rechnungsangaben in § 14 UStG die bisherige BFH-Rechtsprechung weiter gilt, nach der bei einer "Hintermann-Vermutung" des Finanzamts die Unaufklärbarkeit eines anderen als des in der Rechnung bezeichneten Leistenden zulasten des Finanzamts ging.[1] Sie kam zum gleichen Ergebnis wie der EuGH. Das EuGH-Urteil besagt nur, dass bei Verlagerung der Steuerschuld keine Rechnung als Ausübungsnachweis für den Vorsteuerabzug erforderlich ist. An der Pflicht zur Ausstellung einer Rechnung auch in solchen Fällen gem.§ 14a Abs. 5 UStG mit den darin geforderten Angaben ändert sich m.E. nichts. Der Abschluss des Revisionsverfahrens vor dem BFH ist abzuwarten.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil v. 1.4.2004, Rs. C-90/02 -Gerhard Bockemühl-.

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