Sachverhalt

Die Klage der Kommission gegen Großbritannien betraf die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 der 13. EG-Richtlinie ("Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige"). Nach britischem Recht ist eine Erstattung ausgeschlossen in den Fällen einer Verwendung von Eingangsleistungen für die in Art. 17 Abs. 3 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 169 Buchst. c MwStSystRL) genannten Zwecke. Dies sind Finanz- und Versicherungsumsätze, bei denen der Leistungsempfänger außerhalb der Union ansässig ist oder die unmittelbar mit einem Gegenstand zusammenhängen, der zur Ausfuhr in ein Drittland bestimmt ist.

Nach Art. 2 Abs. 1 der 13. EG-Richtlinie erstattet jeder Mitgliedstaat einem Steuerpflichtigen, der nicht im Gebiet der Union ansässig ist, die Mehrwertsteuer, mit der die ihm von anderen Steuerpflichtigen im Inland erbrachten Dienstleistungen oder gelieferten beweglichen Gegenständen belastet wurden oder mit der die Einfuhr von Gegenständen ins Inland belastet wurde, soweit diese Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke der in Art. 17 Abs. 3 Buchst. a und b der 6. EG-Richtlinie genannten Umsätze verwendet werden. Zur Verweisung auf Art. 17 Abs. 3 Buchst. a und b der 6. EG-Richtlinie in Art. 2 Abs. 1 der 13. EG-Richtlinie fällt auf, dass der Wortlaut in dieser Vorschrift nach dem Inkrafttreten der MwStSystRL, deren Art. 169 Buchst. a und b den Art. 17 Abs. 3 Buchst. a und b der 6. EG-Richtlinie ersetzt hat, nicht angepasst wurde. Art. 2 Abs. 1 der 13. EG-Richtlinie ist daher so zu verstehen, dass er (nur) auf Art. 169 Buchst. a und b MwStSystRL verweist.

Die Versicherungs- und Finanzumsätze, um die es in der vorliegenden Klage ging, sind in Art. 169 Buchst. c MwStSystRL genannt. Das Vereinigte Königreich entnimmt dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 der 13. EG-Richtlinie, der nur auf die in Art. 169 Buchst. a und b MwStSystRL genannten Umsätze ausdrücklich verweist, dass bei den in Art. 169 Buchst. c MwStSystRL genannten Umsätzen kein Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer besteht. Die EU-Kommission räumte zwar ein, dass Art. 2 Abs. 1 der 13. EG-Richtlinie nicht auf die in Art. 169 Buchst. c MwStSystRL genannten Umsätze verweist, machte aber mit auf den Vorarbeiten, der Systematik und dem Zweck der Bestimmungen beruhenden Argumenten geltend, dass Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit den Art. 169 bis 171 MwStSystRL so zu verstehen sei, dass er auch bei den in Art. 169 Buchst. c MwStSystRL genannten Umsätzen einen Anspruch auf Vorsteuervergütung gewähre.

 

Entscheidung

Der EuGH ist den Schlussanträgen des Generalanwalts gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Nach dem Urteil besteht keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Drittlandsunternehmern in den Fällen des Art. 169 Buchst. c MwStSystRL Vorsteuern zu vergüten. Die Regelung des Art. 2 Abs. 1 der 13. EG-Richtlinie ist nach Auffassung des EuGH eindeutig. Dort wird auf die in Art. 17 Abs. 3 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie bzw. in Art. 169 Buchst. c MwStSystRL beschriebenen Umsätze nicht Bezug genommen. Sie sei insofern auch als lex specialis zur Regelung des Art. 170 MwStSystRL anzusehen, der - abweichend von Art. 2 Abs. 1 der 13. EG-Richtlinie - in seinem Buchst. a auf sämtliche Buchstaben des Art. 169 MwStSystRL Bezug nimmt.

Der EuGH trifft keine Aussage zu der Frage, ob das Gemeinschaftsrecht damit den Mitgliedstaaten verbietet, in diesen Fällen eine Erstattung vorzunehmen. Vielmehr beschäftigt sich der EuGH durchgängig nur mit der Frage der "Verpflichtung" der Mitgliedstaaten. Dies entspricht dem Klagegegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens, in dem eine Pflichtverletzung des beklagten Mitgliedstaates wie beantragt festgestellt werden soll.

Der EuGH hat aufgrund des begrenzten Klagegegenstandes darüber hinaus verdeutlicht, dass er sich nicht mit der Frage befasst hat, ob aufgrund des vergleichbaren Wortlauts des Art. 2 der 8. EG-Richtlinie sowie des Art. 5 der Richtlinie 2008/9/EG auch bei den im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmern keine Verpflichtung zur Erstattung besteht. Der EuGH führt hierzu an, dass Art. 5 der Richtlinie 2008/9/EG, die die 8. EG-Richtlinie ersetzt hat, genauso wie deren Art. 2 auf Art. 169 „Buchstaben a und b” MwStSystRL verweist. Nach der Sichtweise der Kommission hätte also der Richtliniengeber beim Erlass der 8. EG-Richtlinie einen Fehler begangen, der sich in der 13. EG-Richtlinie wiederholt hätte, und er hätte den gleichen Fehler beim Erlass der Richtlinie 2008/9/EG begangen. Hierzu bemerkt der EuGH, dass selbst wenn das Vorbringen der Kommission, dass ein Fehler vorliege und ihre Lesart der fraglichen Bestimmungen der Logik des Mehrwertsteuersystems eher gerecht werde, es nicht Aufgabe des EuGH sei, eine solche berichtigende Auslegung von Art. 2 Abs. 1 der 13. EG-Richtlinie vorzunehmen.

Im Übrigen ist bemerkenswert, dass der EuGH in der Urteilsbegründung die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung steuerrechtlicher Richtlinien unter den Schutz des Grundsatzes ...

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