Dr. Axel Deutscher, Ralph Gübner
Rdn 4229
Literaturhinweis:
Fromm, Das Rechtsinstitut des Wiederaufnahmeverfahrens in Verkehrs-Bußgeldsachen mit dem Ziel des Freispruchs, § 85, VRR 2011, 47
Fornauf, Die Neuheit bereits erörterter Tatsachen im Wiederaufnahmeverfahren, StraFo 2013, 235
Fromm, Die Wiederaufnahme des Verkehrsbußgeldverfahrens, § 86 OWiG, zfs 2019, 72
Krumm, Wiederaufnahmeverfahren nach Messung mit Poliscan Speed, DAR 2011, 46.
Rdn 4230
1. Mit der förmlichen Wiederaufnahme des Verfahrens wird die materielle Rechtskraft des Bußgeldbescheids oder der gerichtlichen Entscheidung durchbrochen. Damit wird im Nachhinein eine Überprüfung und ggf. Korrektur zugunsten der Gerechtigkeit ermöglicht, wenn auch nicht zwangsläufig zugunsten des Betroffenen. § 85 enthält eine spezielle Regelung für die Wiederaufnahme eines Verfahrens, das durch eine rechtskräftige Bußgeldentscheidung beendet wurde, und verweist i.Ü. auf die Regelungen in den §§ 359–373a StPO (zur Wiederaufnahme eingehend Burhoff/Kotz/Amelung/Werning, RM, Teil B Rn 1053 ff., 1233 ff., → Rechtskraft der bußgeldrechtlichen Entscheidung, Rdn 3199 ff.).
☆ Besondere Bedeutung erlangt die Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn die Fahrerlaubnisbehörde gegen den Betroffenen verwaltungsrechtliche Maßnahmen ergreift . Bei Anordnungen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ist die Behörde gem. § 4 Abs. 5 S. 4 StVG an rechtskräftige Entscheidungen gebunden. Das bedeutet, dass der Betroffene in aller Regel kein Gehör findet, wenn er vorträgt, die in der Vergangenheit geahndeten Taten gar nicht begangen zu haben (→ Fahreignungs-Bewertungssystem, Allgemeines , Rdn 1200 ). Gleiches gilt nach § 2a Abs. 2 S. 2 StVG für Maßnahmen bei Inhabern einer Probefahrerlaubnis (vgl. OVG Hamburg NJW 2007, 1225 = zfs 2007, 233 = VRS 112, 64; → Fahrerlaubnis auf Probe , Rdn 1301 ). erlangt die Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn die Fahrerlaubnisbehörde gegen den Betroffenen verwaltungsrechtliche Maßnahmen ergreift. Bei Anordnungen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ist die Behörde gem. § 4 Abs. 5 S. 4 StVG an rechtskräftige Entscheidungen gebunden. Das bedeutet, dass der Betroffene in aller Regel kein Gehör findet, wenn er vorträgt, die in der Vergangenheit geahndeten Taten gar nicht begangen zu haben (→ Fahreignungs-Bewertungssystem, Allgemeines, Rdn 1200). Gleiches gilt nach § 2a Abs. 2 S. 2 StVG für Maßnahmen bei Inhabern einer Probefahrerlaubnis (vgl. OVG Hamburg NJW 2007, 1225 = zfs 2007, 233 = VRS 112, 64; → Fahrerlaubnis auf Probe, Rdn 1301).
Rdn 4231
2. In der Praxis ist die Wiederaufnahme aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel von besonderer Bedeutung, § 359 Nr. 5 StPO i.V.m. § 85 Abs. 1.
Rdn 4232
a) Neu sind Tatsachen, die sich weder in der Akte noch in den Urteilsgründen wiederfinden (LG Stuttgart VRR 2008, 283 [Ls.]; ausführlich KK/Lutz, § 85 Rn 8 ff.; AG Cloppenburg DAR 2021, 647 = zfs 2022, 53 m. Anm. Krenberger [später erlangte Erkenntnisse gegen die Standardisierung des Messverfahrens mit Leivtec XV3]). Das nachträgliche Bestreiten der dem Bußgeldbescheid zugrundeliegenden Tatsachen reicht hierfür allerdings nicht aus, so z.B. das Bestreiten der an der Messstelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit (LG Köln DAR 2017, 335 [Unrichtigkeit des Beschilderungsplanes]) oder das bloße Bestreiten der Täterschaft (LG Trier, Beschl. v. 20.5.2020 – 1 Qs 34/29 [seinerzeit nicht Führer des Kfz gewesen zu sein]).
Rdn 4233
Ob es neu im Rechtssinne ist, kann im Freibeweisverfahren geklärt werden (OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 210; Fromm, zfs 2019, 72 [73]).
Rdn 4234
b) Zeitlich ist bei rechtskräftigen Bußgeldbescheiden auf den Erlass abzustellen. Bei gerichtlichen Entscheidungen ist maßgeblich, ob Tatsachen oder Beweismittel vom erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind.
☆ Bei einem Verwerfungsurteil wegen Nichterscheinens des Betroffenen kommt es auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung an, weil anderenfalls das befristete Wiedereinsetzungsverfahrens durch das unbefristete Wiederaufnahmeverfahren umgangen werden könnte (LG Trier, Beschl. v. 20.5.2020 – 1 Qs 34/20).Verwerfungsurteil wegen Nichterscheinens des Betroffenen kommt es auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung an, weil anderenfalls das befristete Wiedereinsetzungsverfahrens durch das unbefristete Wiederaufnahmeverfahren umgangen werden könnte (LG Trier, Beschl. v. 20.5.2020 – 1 Qs 34/20).
Rdn 4235
3. Der Wiederaufnahmeantrag ist sorgfältig zu begründen. Meist wird sich der Betroffene darauf berufen, das Fahrzeug bei der geahndeten Tat gar nicht geführt zu haben und – jetzt – einen anderen als Fahrer benennen. Der Dritte ist ein neues Beweismittel i.S.d. § 85 Abs. 2 i.V.m. § 359 Nr. 5 StPO (dazu LG Landshut DAR 2014, 214 = VRR 2014, 193 m. Anm. Werning). Das vorzutragen reicht nach der Rechtsprechung indes nicht aus. Es muss nämlich zudem die Geeignetheit als Beweismittel dargelegt werden (BGH NJW 1977, 59; OLG Köln NStZ 1991, 96; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 210). Dazu gehört auch der Grund für die Nichtbenennung im Erkenntnisverfahren (OLG Düsseldorf N...