Leitsatz
Eine wechselbezügliche Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament, welche den Überlebenden daran hindert abweichende Anordnungen zu treffen, liegt dann vor, wenn die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre.
Sachverhalt
Die Eheleute errichteten ein gemeinschaftliches notarielles Testament, in dem angeordnet ist:
Im Falle des Vorversterbens der Ehefrau erben ihre beiden Töchter zu je ½ und der Ehemann erhält den lebenslangen Nießbrauch am gesamten Nachlass.
Sollte zuerst der Ehemann versterben, erbten die Ehefrau zu ½ und die Töchter zu je ¼. Zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung war der Ehemann infolge der Übertragung der Vermögenswerte auf die Ehefrau nahezu vermögenslos.
Nach dem Tod des Ehemannes kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Erblasserin und der Tochter A sowie zwischen der Tochter A und deren Sohn.
Daraufhin errichtete die Erblasserin eine weitere letztwillige Verfügung, in der sie erklärt, die Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament seien nicht wechselbezüglich i.S.v. § 2270 BGB. Ferner enterbte sie die Tochter A und entzog ihr überdies den Pflichtteil. In einer Anlage zum Testament waren die Gründe für dieses Vorgehen erläutert. Die Tochter A hatte unter anderem versucht den Ehemann der Erblasserin in die Psychiatrie einweisen zu lassen und die Erblasserin selbst unter Betreuung zu stellen. Sie verklagte ihren Sohn und wurde daraufhin wegen versuchten Prozessbetrugs verurteilt.
Die Tochter A hat den Erlass eines Teilerbscheins beantragt, der sie als Erbin zu ½ ausweist.
Entscheidung
Das Gericht hatte zu prüfen, ob von einer Wechselbezüglichkeit der testamentarischen Verfügungen auszugehen war, mit der Folge, dass die Erblasserin an einer weiteren Testamentserrichtung gehindert gewesen wäre. Die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen, die im Wege der individuellen Auslegung gem. § 2270 Abs. 1 BGB festzustellen ist, hat das Gericht in diesem Fall verneint.
Allein der Umstand, dass die Kinder zu Schluss- bzw. Miterben bestimmt worden sind, lässt nicht den Schluss auf eine Wechselbezüglichkeit zu, da das Motiv für die Erbeinsetzung der Kinder in der Regel die enge Verbundenheit zu diesen und nicht zum Ehegatten ist. Auch aus den testamentarischen Zuwendungen der Ehegatten untereinander ist keine Wechselbezüglichkeit der Anordnungen zu entnehmen. Die Erblasserin ist von ihrem Ehemann ohnehin nur insoweit zur Erbin eingesetzt worden, als sie auch in Folge der gesetzlichen Erbfolge Erbin geworden wäre. Zudem war der Ehemann zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nahezu vermögenslos und im Alter von 83 Jahren konnte auch nicht mehr mit erheblichen Vermögenszuwächsen gerechnet werden. Aus der vorhandenen Verwirkungsklausel lässt sich für die Frage der Wechselbezüglichkeit ebenfalls nichts entnehmen.
Zudem geht die Auslegung des Testaments nach § 2270 Abs. 1 BGB der Regelung in § 2270 Abs. 2 BGB vor. Absatz 2 kommt nur zum Tragen, wenn § 2270 Abs. 1 BGB nicht zu einem Ergebnis führt, was vorliegend jedoch der Fall ist.
Soweit die Tochter A das zuletzt errichtete Testament angefochten hat, geht diese Anfechtung ins Leere, da es bereits an einem Anfechtungsgrund mangelt. Der überwiegende Teil der Ausführungen der Erblasserin in der Anlage zu ihrem Testament, in der die Gründe für die Enterbung und den Pflichtteilsentzug dargestellt sind, ist erwiesen, so dass es keine Rolle spielt, ob die übrigen Ausführungen zutreffend sind oder nicht.
Die Einleitung eines Betreuungsverfahrens gegen die Erblasserin und die weiteren unstreitigen Vorwürfe sind so gravierend, dass sie die Enterbung der A nahe legen.
Link zur Entscheidung
OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.09.2006, 20 W 293/04