1 Leitsatz
Die Klage der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen einen Grundstücksnachbarn ist auch dann keine WEG-Streitigkeit, wenn der Grundstücksnachbar Mitglied der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist.
2 Normenkette
§ 43 Abs. 2 Nr. 2 WEG; § 72 Abs. 2 GVG
3 Das Problem
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer K verlangt, den Grundstücksnachbarn B durch eine einstweilige Verfügung zu verpflichten, die Nutzung von in seinem Eigentum stehenden Grundstücken zu dulden und den Zutritt zu diesen zu gewähren. B ist Mitglied der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Fraglich ist, ob der Antrag eine WEG-Streitigkeit ist.
4 Die Entscheidung
Nach Ansicht des BayObLG liegt keine WEG-Streitigkeit vor! § 43 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 WEG seien zwar weit auszulegen. Für die Normanwendung komme es nicht entscheidend auf die Rechtsgrundlage an, aus welcher der Anspruch abgeleitet werde. Maßgeblich sei allein der Umstand, ob das in Anspruch genommene Recht oder die den Wohnungseigentümer treffende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit stehe, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen sei. § 43 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 WEG seien indes nicht einschlägig, wenn der Beklagte zwar zum Kreis der Wohnungseigentümer gehöre, aber nicht in dieser "Eigenschaft" in Anspruch genommen werde, sondern das Klagebegehren sich gegen ihn als Vertragspartner der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und als Eigentümer des Nachbargrundstücks richte. Unter Anwendung dieser Grundsätze fehle es im Fall an dem notwendigen inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Eigentümer am Parkhaus erwachsen sei: K nehme B bloß als Eigentümer der Nachbargrundstücke in Anspruch. Dabei gehe es nicht um die Duldung von Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum oder am Sondereigentum des B.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall ist zu klären, ob eine WEG-Streitigkeit vorliegt. Eine Zuständigkeit des für Wohnungseigentumssachen zuständigen Berufungsgerichts ergab sich nämlich nicht schon daraus, dass das AG als Wohnungseigentumsgericht entschieden und dementsprechend auch in der Rechtsbehelfsbelehrung das für den Bezirk des Oberlandesgerichts, in dem das AG seinen Sitz hat, zuständige LG als gemeinsames Berufungs- und Beschwerdegericht angegeben hatte. Denn die Antwort auf die Frage, ob eine Zuständigkeitskonzentration nach § 72 Abs. 2 GVG eintritt, richtet sich allein danach, ob es sich tatsächlich um eine WEG-Streitigkeit nach § 43 Abs. 2 WEG handelt (BGH, Urteil v. 21.2.2020, V ZR 17/19, Rn. 12). Dementsprechend wird eine Zuständigkeit nach § 72 Abs. 2 GVG nicht schon dadurch begründet, dass der für Wohnungseigentumssachen zuständige Amtsrichter entschieden hat (BGH, Urteil v. 21.2.2020, V ZR 17/19, Rn. 12). Unerheblich war hingegen, ob nur ein Streitgegenstand als Wohnungseigentumssache zu qualifizieren wäre: Wenn im Fall einer objektiven Klagehäufung nur ein Teil der erstinstanzlichen Entscheidung Rechtsstreitigkeiten i. S. v. § 43 Abs. 2 WEG betrifft, ist eine unerwünschte Aufspaltung der Berufungszuständigkeit und eine Trennung der Prozesse in der Berufungsinstanz zu vermeiden sowie dem Gebot der Rechtsmittelklarheit Rechnung zu tragen. Die Zuständigkeit in der Berufungsinstanz richtet sich daher in einem solchen Fall einheitlich nach § 72 Abs. 2 GVG (BGH, Urteil v. 21.2.2020, V ZR 17/19, Rn. 12).
WEG-Streitigkeit
Das BayObLG ist der Ansicht, es liege keine WEG-Streitigkeit vor. Dem ist aus den vom Gericht genannten Gründen auch zuzustimmen. § 43 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 WEG sind zwar weit auszulegen. Nimmt beispielsweise ein Wohnungseigentümer einen anderen aus einer unerlaubten Handlung auf Schadensersatz in Anspruch, ist nur erforderlich, dass der Anspruch auf ein Verhalten gestützt wird, das sich als Verletzung seiner aus dem Gemeinschaftsverhältnis ergebenden Pflichten gegenüber dem Schadensersatz verlangenden Berechtigten darstellt. § 43 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 WEG sind aber nicht einschlägig, wenn der Beklagte zwar zum Kreis der Wohnungseigentümer gehört, aber nicht in dieser Eigenschaft in Anspruch genommen wird, sondern das Klagebegehren sich gegen ihn als Vertragspartner der Kläger und als Eigentümer des Nachbargrundstücks richtet. Auch gesetzliche Ansprüche zwischen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und einem Wohnungseigentümer können außerhalb des Anwendungsbereichs der Norm liegen, beispielsweise wenn einem Wohnungseigentümer das Nachbargrundstück gehört und die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer dieses Eigentum stört.
Verkehrssicherungspflicht
Etwas Anderes folgte im Fall auch nicht daraus, dass die von K beabsichtigten Maßnahmen – wie sie behauptete – dazu dienen sollten, der der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer obliegenden Verkehrssicherungspflicht nachzukommen. Denn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer begehrte von B nicht, sich an Sicherungsmaßnahmen in gleicher Weise wie die anderen Eigentümer des Parkhauses (beispielsweise finanziell) zu beteiligen. Vielmehr wollte die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine Rechtsposit...