Widerrufsrecht
Nach § 312g BGB steht dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu.
Mit Wirkung zum 13.6.2014 (Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung v. 20.9.2013, BGBl. I S. 3642) gilt das Widerrufsrecht auch für außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossene Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher. Diese Regelungen gelten also nur, wenn der Rechtsanwalt als Unternehmer mit einem Verbraucher einen Geschäftsbesorgungsvertrag (Auftrag) abschließt. Dabei kommt § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB insbesondere dann zur Anwendung, wenn die Beauftragung des Rechtsanwalts nicht in seinem Büro erfolgt (z. B. zu Hause, im Krankenhaus oder Kfz-Werkstatt):
Das Widerrufsrecht gilt auch bei Fernabsatzverträgen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die regelmäßige Beauftragung des Rechtsanwalts/der Rechtsanwältin telefonisch, per Telefax, per Brief oder per E-Mail erfolgt (§ 312c BGB). Aus Gründen des Verbraucherschutzes sind die Normen des Fernabsatzrechts auch in diesem Bereich anwendbar (vgl. BGH, Urteil v. 23.11.2017, IX ZR 204/16),
Maßgeblich dafür, ob ein Fernabsatzvertrag vorliegt, ist das Merkmal, ob der Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Nach der bisherigen Rechtsprechung hängt das von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Rechtsprechung bewertet insbesondere den Auftritt der Rechtsanwaltskanzlei im Internet und wie ansonsten Mandate mit Verbrauchern generiert werden (vgl. zu dieser Problematik Härting, Anwaltsverträge im Fernabsatz, NJW 2016, S. 2937; El-Auwad, Anwaltsverträge: Widerruf des Mandats nach Fernabsatzrecht?, AnwBl 2017, S. 971). Die Beweislast, dass ein solches Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nicht und damit auch kein Fernabsatz vorliegt, obliegt dem Rechtsanwalt/der Rechtsanwältin (BGH, Urteil v. 19.11.2020, IX ZR 133/19).
Das hat insbesondere für Kanzleien an Bedeutung gewonnen, die ihren Betrieb in Zeiten von SARS-CoV-2 systematisch durch fernangebahnte Mandate aufrechterhalten.
Der BGH hat seine Rechtsprechung weiter konkretisiert, sieht jedoch auch, dass die Frage des Fernabsatzes bei einem Anwaltsvertrag noch nicht abschließend geklärt ist. Ein Vertriebssystem im Fernabsatz ist bei einer Rechtsanwaltskanzlei unter folgenden Bedingungen anzunehmen (BGH, Urteil v. 19.11.2020, IX ZR 133/19; ; dazu Bereska, BGH zum Fernabsatz: Kein Sonderrecht für die Anwaltschaft, AnwBl 2021, S. 97 ):
- Die Kanzlei ist so organisiert, dass es gerade für die von ihr erstrebten Mandate typischerweise weder für die Vertragsverhandlungen noch für den Abschluss des Vertrags erforderlich ist, dass Rechtsanwältin/Rechtsanwalt und Mandantschaft gleichzeitig persönlich anwesend sind.
- Die Kanzlei muss eine Mandatsverteilung unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Außenverhältnis gegenüber Dritten aktiv bewerben. Unerheblich ist, wie nach dem Vertragsschluss weitergeht.
Beispiele
- Hält die Rechtsanwaltskanzlei auf ihrer Homepage im Internet Vollmachtsformulare oder Beauftragungsschreiben zum Download für die Mandanten bereit, könnte davon ausgegangen werden, dass die Mandatsgenerierung hauptsächlich über das Internet erfolgt. Das könnte dann anzunehmen sein, wenn der Mandant auf der Homepage aufgefordert wird, das Vollmachtsformular oder die Vergütungsvereinbarung zu unterschreiben und per E-Mail oder Fax zuzusenden. Allerdings genügt das Bereithalten eines E-Mail-Accounts oder Fax-Anschlusses noch nicht für ein Fernabsatzgeschäft (vgl. BGH, Urteil v. 23.11.2017, IX ZR 204/16), da diese Kommunikationsmittel für den Betrieb einer Rechtsanwaltskanzlei notwendig sind.
- Erfolgt die Generierung von Mandaten dadurch, dass Vollmachtsformulare an dritter Stelle ausliegen (z. B. Werkstatt, Versicherungsmakler) und erfolgt im Übrigen der Kontakt mit dem Mandanten als Verbraucher per E-Mail oder Telefon, kommt ebenfalls ein Fernabsatzvertrag in Betracht (so bejahend AG Brandenburg a.d. Havel, Urteil v. 13.10.2017, 31 C 244/16 zur ausgelegten Prozessvollmacht in einem Autohaus). Das ist ferner dann der Fall, wenn ein fremdes Organisations- und Dienstleistungserbringungssystem genutzt wird (vgl. BGH, Urteil v. 23.11.2017, IX ZR 204/16).
- Handelt es sich um eine Rechtsanwaltskanzlei mit Spezialkenntnissen (z. B. im Bankrecht, Reiserecht, Hochschulrecht, Verteidigung gegen Filesharing-Abmahnungen) ist es bei einer Vertretung von Mandanten (Verbraucher) im gesamten Bundesgebiet möglich, dass fast alle Mandate durch Mittel der Fernkommunikation generiert und beauftragt werden. Bei einem bloßen Kontaktformular, das der Mandant nur dazu nutzt, um sich mit der Rechtsanwaltskanzlei in Verbindung zu setzen, dürfte das eher nicht der Fall sein.
Insoweit muss die Bewertung dieses Merkmals durch die Rechtsprechung abgewartet werden. Nach den ersten Urte...