Leitsatz
Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn ein Rechtsanwalt seiner Büroangestellten mündlich die Anweisung erteilt hat, die Berufungsschrift per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übermitteln, die Absendung jedoch im Laufe des Tages in Vergessenheit gerät und unterbleibt.
Sachverhalt
Ein Rechtsanwalt hatte eine Büroangestellte morgens angewiesen, eine Berufungsbegründungsschrift im Laufe des Tages an das Gericht per Fax zu übersenden, sich später aber nicht mehr um die Sache gekümmert. Der Schriftsatz ging bei Gericht erst einen Tag nach Ablauf der Frist ein. Dem Wiedereinsetzungsgesuch gab der BGH nicht statt.
Entscheidung
Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist deshalb im allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Betrifft die Anweisung z.B. einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt. In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen entscheidenden Organisationsmangel.
Im Einzelfall kann stets die Gefahr bestehen, dass die nur mündlich angeordnete Absendung eines Schriftsatzes in Vergessenheit gerät. Wegen der schon am Morgen erteilten Weisung bestand durchaus erkennbar die Gefahr, dass die Angestellte die Anweisung nach ihrer Mittagspause vergessen könnte. Ein solches Versehen kann auch einer sonst stets zuverlässigen Bürokraft unterlaufen. Deswegen hätte der Prozessbevollmächtigte, um seiner Sorgfaltspflicht zu genügen, die klare und präzise Anweisung erteilen müssen, die Berufungsbegründung umgehend, jedenfalls aber noch am Vormittag abzusenden. Dies war nicht geschehen. Der BGH ging daher von einer verschuldeten Säumnis aus.
Praxishinweis
"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Mit diesem Schlagwort kann man die Rechtsauffassung des BGH zu nötigen Überwachungsmaßnahmen im Büro des Angehörigen eines rechts- oder steuerberatenden Berufs zusammenfassen. Neben klaren und präzisen Anweisungen gegenüber dem Personal muss der Berufsangehörige auch hinreichend belegen, dass er regelmäßig die Einhaltung dieser Anordnungen kontrolliert. Es bietet sich – schon aus Beweisgründen – an, derartige organisatorische Regelungen schriftlich zu fixieren und den Mitarbeitern regelmäßig – z.B. in Form eines Umlaufs, der abzuzeichnen ist – nahe zu bringen. Auch seine Kontrollmaßnahmen sollte der Berufsangehörige ähnlich dokumentieren.
Link zur Entscheidung
BGH, Beschluss vom 22.06.2004, VI ZB 10/04