Leitsatz
Auch die Richtigkeit eines Eingangsstempels des Gerichts kann widerlegt werden.
Sachverhalt
Die Klägerin hatte gegen ein klageabweisendes Urteils des Amtsgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Berufung wurde mit Schriftsatz vom 16.9.2004 begründet. Dieser Schriftsatz trägt den Eingangsstempel "Landgericht Essen ≪= Berufungsgerichte Eing 17. SEP. 2004 N …" Auf den Hinweis des Gerichts, der Schriftsatz sei verspätet eingegangen, hat der Prozessbevollmächtigte vorgetragen und an Eides Statt versichert, die am 16.9.2004 ausgefertigte Berufungsbegründung sei von ihm unter dem gleichen Datum auf dem Nachhauseweg in der Zeit zwischen 18.00 und 19.00 Uhr in den Notfristbriefkasten des Berufungsgerichts geworfen worden. Zugleich hat er – aus denselben Gründen – hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Eine vom LG eingeholte dienstliche Erklärung der Wachtmeisterei ergab folgende übliche Behandlung der Eingangspost: Die eingehenden Schriftstücke werden dergestalt präsentiert, dass die bis mittags vorgelegte Post einen Eingangsstempel mit dem Zusatz "V" erhalte. Ab Mittag werde der Stempel umgestellt; dann erscheine neben dem Datum der Zusatz "N" als Symbol dafür, dass die Post erst nachmittags eingegangen sei. Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Der BGH verwarf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde.
Entscheidung
Die rechtzeitige Vornahme einer Prozesshandlung, hier also die Rechtzeitigkeit der Berufungsbegründung, wird im Regelfall durch den Eingangsstempel des betreffenden Gerichts auf dem entsprechenden Schriftsatz nachgewiesen. Der nicht an Formalien gebundene Gegenbeweis ist aber zulässig. Er erfordert mehr als eine bloße Glaubhaftmachung. Notwendig ist die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang. Allerdings dürfen die Anforderungen wegen der Beweisnot des Berufungsführers hinsichtlich gerichtsinterner Vorgänge nicht überspannt werden. Der Senat sah in der angefochtenen Entscheidung keinen Verstoß gegen diesen Grundsatz. Angesichts der dienstlichen Äußerung der Wachtmeisterei sei es nicht wahrscheinlich, dass der Schriftsatz tatsächlich bereits am Abend des 16.9. in den Nachtbriefkasten gelangt ist. Denn bei einer "falschen" Stempelung hätte er dann zunächst den Vormittagsstempel erhalten müssen. Der – unstreitig aufgebrachte – Nachmittagsstempel würde voraussetzen, dass der Schriftsatz längere Zeit unbearbeitet geblieben sei. Hierfür habe der Rechtsmittelführer aber nichts vorgetragen.
Praxishinweis
Der BGH verneint eine Verpflichtung des Berufungsgerichts, alle theoretisch denkbaren Möglichkeiten für eine fehlerhafte Stempelung überprüfen zu müssen. Hierfür hätte der Prozessbevollmächtigte auf jeden Fall weitere Umstände für die Richtigkeit seiner eidesstattlichen Versicherung vortragen müssen. Denkbar ist in diesem Zusammenhang ein Hinweis auf den Einwurf in den Gerichtsbriefkasten in den Handakten oder einen entsprechenden Hinweis im Postausgangsbuch. Mit diesen weiteren Argumenten hätte sich das LG dann explizit auseinander setzen und diese gegebenenfalls auch widerlegen müssen. Der Rechtsbeistand sollte daher Wiedereinsetzungsanträge in derartigen Fällen möglichst umfassend begründen und auch dabei auf den Inhalt etwaiger dienstlicher Äußerungen von Mitarbeitern der Posteingangsstellen eingehen.
Link zur Entscheidung
BGH-Beschluss vom 15.9.2005, III ZB 81/04