Zusammenfassung
Die Grundsätze wirtschaftlicher Neugründung finden auch bei einer Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs einer Gesellschaft in Liquidation Anwendung.
Hintergrund
Eine Vorbelastungshaftung nach diesen Grundsätzen trifft die Gesellschafter allerdings nur unter den Voraussetzungen und in den Grenzen, die auch außerhalb der Liquidation gelten. Die Haftung ist danach auf die im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung bestehende Unterbilanz begrenzt und greift nur, wenn die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt kein aktives Unternehmen mehr betreibt.
Die GmbH im Streitfall wurde im Jahr 2002 als S-GmbH gegründet und im Handelsregister eingetragen. Ende 2004 wurde die Gesellschaft aufgelöst und der Alleingesellschafter als Liquidator bestellt. Im Jahr 2005 ruhte der Geschäftsbetrieb. Anfang 2006 wurde die Fortsetzung der GmbH beschlossen, die im April 2006 den Geschäftsbetrieb wieder aufnahm. Im Zuge dessen trat der Alleingesellschafter seinen Geschäftsanteil an die Beklagte ab und die Gesellschafterversammlung beschloss die Firma in "T-GmbH" zu ändern. Ende 2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm die Gesellschafterin auf Ausgleich der zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung gegebenen Unterbilanz in Anspruch.
Nachdem die Vorinstanzen dem Insolvenzverwalter Recht gegeben hatten, bestätigte der Bundesgerichtshof zwar in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Meinung in der Rechtsliteratur, dass die Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung und die hieraus folgende Vorbelastungshaftung der Gesellschafter auch auf Gesellschaften in Liquidation Anwendung finden. Die Entscheidung der Vorinstanzen war trotzdem aufzuheben. Hierzu verwies der Bundesgerichtshof zum einen auf seine seit 2012 geänderte Rechtsprechung zur Vorbelastungshaftung (BGH, Urteil v. 6.3.2012, II ZR 56/10), nach der die Unterbilanzhaftung der Gesellschafter nur greift, wenn und soweit eine Unterbilanz in dem Zeitpunkt bestand, in dem die wirtschaftliche Neugründung entweder durch die Anmeldung der Satzungsänderungen oder durch die Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit erstmals nach außen in Erscheinung tritt. Zum anderen stellte der BGH klar, dass eine aufgelöste Gesellschaft nicht per se ein unternehmensleerer Mantel bzw. eine "leere Hülse" im Sinne der Grundsätze zur wirtschaftlichen Neugründung ist. Es ist also im Einzelfall festzustellen, ob eine "leere Hülse" vorliegt oder nicht. Während der Liquidation stellt der BGH darauf ab, ob noch nennenswerte Liquidationsaufgaben gem. § 70 GmbH wahrgenommen werden oder nicht.
Der Entscheidung des BGH ist zuzustimmen. Die Anwendung der Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung auch in der Liquidation der Gesellschaft ist zur Gewährleistung der Kapitalausstattung schon aus Gläubigerschutzgesichtspunkten erforderlich. Im Falle der Wiederverwendung eines leeren Gesellschaftsmantels aus dessen Liquidation heraus, muss diese also unter Versicherung des Geschäftsführers gemäß § 8 Abs. 2 GmbHG gegenüber dem Registergericht offengelegt werden. Hieran anknüpfend unterliegen die Gesellschafter einer Unterbilanzhaftung auf den Zeitpunkt, zu dem die Aufdeckung der wirtschaftlichen Neugründung hätte erfolgen müssen. Spätere Vertiefungen der Unterbilanz sind nicht von der Haftung nach den Grundsätzen wirtschaftlicher Neugründung erfasst.
Bei der Feststellung, ob eine "leere Hülse" oder ein aktiver Geschäftsbetrieb vorliegt, kommt es bei der in Liquidation befindlichen Gesellschaft nicht darauf an, ob eine Geschäftstätigkeit im Rahmen des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands vorliegt. Entsprechend der Situation nach der Gründung einer Gesellschaft, die als aktives Unternehmen anzusehen ist, auch wenn zunächst nur Aktivitäten zur Planung und Vorbereitung der eigentlichen Geschäftstätigkeit ausgeführt werden, ist auch im Falle einer in Liquidation befindlichen Gesellschaft von einem aktiven Unternehmen auszugehen, solange die Gesellschaft mit Liquidationsaufgaben befasst ist.