Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
- Die Wohnungseigentümergemeinschaft besitzt keine volle oder eingeschränkte Rechtsfähigkeit
- Fehlerhafte Wertung/Tatsachenwürdigung eines gerichtlichen Gutachtens (hier: zur Frage eines störungsfreien Empfangs von FS-Programmen über eine Satelliten-Gemeinschaftsanlage) nötigt zur Zurückweisung
- Vereinbarung im Beseitigungsverfahren über eine Einzel-Parabolantenne zwischen den restlichen Eigentümern und einem behinderten Miteigentümer verstößt bei Empfangsmöglichkeit von 20 Fernsehprogrammen über eine gemeinsame Empfangsanlage weder gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG noch gegen die guten Sitten i. S. des § 138 BGB
Normenkette
(§§ 12, 27 FGG; Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG; § 138 BGB)
Kommentar
1. Der Senat hält an derzeit h.R.M. fest, dass eine Wohnungseigentümergemeinschaft weder rechts- noch parteifähig ist (BGH, NJW 1998, 3279). Bei einer Wohnungseigentümergemeinschaft handelt es sich um eine rechtlich besonders ausgestaltete Bruchteilsgemeinschaft; die neue Entscheidung des BGH v. 29.1.2001, Az.: II ZR 331/00 (NJW 2001, 1056) zur Rechtsfähigkeit einer BGB-Außengesellschaft ist auf das Wohnungseigentumsrecht nicht anwendbar (vgl. auch BayObLG v. 26.7.2001, Az.: 2Z BR 73/01, NZM 2001, 956). Insoweit ist auch den überzeugenden Ausführungen von Ott (ZMR 2002, 97) zu folgen und nicht der rechtsfortbildenden neuen Meinung von Raiser (ZWE 2001, 173), ungeachtet der Vorteile in der Praxis, die mit der Annahme einer Teilrechtsfähigkeit einer Wohnungseigentümergemeinschaft verbunden wären. Eine den Anforderungen an die Bestimmtheit und damit den Anforderungen der Rechtssicherheit genügende Abgrenzung kann nicht darin gesehen werden, dass sich die Reichweite der begrenzten Rechtsfähigkeit "aus dem Gesetz und den Bedürfnissen der Praxis" ergeben soll, wie Raiser meint. Auch besteht derzeit keine tragfähige Grundlage für eine Abkehr von der bisherigen Rechtsansicht, wie Ott zu Recht anmerkt.
2. Legt das LG seiner Entscheidung Ausführungen eines gerichtlichen Sachverständigen zugrunde (hier: zu Fragen einer ausreichenden Abschirmung und zum Stand der Technik der einzelnen Kabel zu den Eigentumswohnungen), die in dessen Gutachten nicht enthalten sind, nötigt dies zu einer Zurückverweisung der Sache. Auch eine Tatsachenwürdigung durch das LG ist vom Senat daraufhin zu überprüfen, ob der Tatrichter den Sachverhalt ausreichend erforscht, bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln und Verfahrensvorschriften sowie gegen Denkgesetze und feststehende Erfahrungssätze und den allgemeinen Sprachgebrauch verstoßen hat (h.M.). Haben hier die Streitparteien im Zuge eines Verfahrens auf Beseitigung einer Einzel-Parabolantenne zum einen das Ruhen des Verfahrens und zum anderen eine Verbesserung der Empfangssicherheit vereinbart, müssen zur Herbeiführung einer solchen Verbesserung (also einer Veränderung des gegenwärtigen Zustands) auch die seit der Erstinstallation eingetretenen technischen Veränderungen berücksichtigt werden. Darüber hinaus müssen zum Zwecke einer solchen Verbesserung auch Maßnahmen ergriffen werden, die zum Zeitpunkt der Erstinstallation zwar noch nicht allgemein üblich, aber bereits bekannt waren; insoweit besteht noch entsprechender fachtechnischer Aufklärungsbedarf.
3. Eine Vereinbarung zwischen einem behinderten Wohnungseigentümer (Antragsgegner) und den übrigen Wohnungseigentümern (Antragstellern), eine private Parabolantenne abzubauen, wenn über die gemeinsame Empfangsanlage 20 Fernsehprogramme zu empfangen sind, verstößt auch unter Heranziehung der Wertungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht gegen die guten Sitten. Über den Empfang von Rundfunkprogrammen war allerdings keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen; ein einseitiger Irrtum des Antragsgegners wäre insoweit unbeachtlich; ein Motivirrtum begründet auch keine Anfechtung nach § 119 BGB.
4. Die Sache wurde an das LG zurückverwiesen, bei Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren von 1.000 EUR.
Link zur Entscheidung
BayObLG, Beschluss vom 14.02.2002, 2Z BR 184/01( BayObLG, Beschluss v. 14.2.2002, 2Z BR 184/01)
Was die praxisbedeutsame und zurzeit auch in der Wissenschaft sehr heftig diskutierte rechtssystematische Frage einer Rechts- bzw. Teilrechtsfähigkeit auch einer Wohnungseigentümergemeinschaft betrifft, hält der Senat nach wie vor an bisher herrschender Rechtsmeinung fest (unter Berufung auf Ott und gegen die Auffassungen von Raiser sowie neuerlich auch von Bub, zuletzt Vortrag anlässlich der Verwalterfachtagung des vhw, November 2001 in München). Für mich ist es nicht ausgeschlossen, dass über kurz oder lang ein anderes Oberlandesgericht eine abweichende Auffassung vertritt und dann über entsprechende Vorlage der BGH auch hier das letzte Machtwort zu sprechen hat, wie auch in diversen rechtsfortbildenden Entscheidungen aus jüngster Vergangenheit.