1 Leitsatz
In einer Wohnungseigentümergemeinschaft darf es den Wohnungseigentümern nicht völlig versagt sein, Musik zu machen. Allerdings gebietet es die Rücksicht auf die Interessen der anderen Wohnungseigentümer, das Üben zeitlich zu begrenzen.
2 Normenkette
§ 15 WEG
3 SachverhaltDas Problem
Wohnungseigentümer K arbeitet in der Regel von Montag bis Donnerstag von 8 Uhr bis 18.30 Uhr außer Haus. Er wohnt im 2. Obergeschoss. Wohnungseigentümer B wohnt im Erdgeschoss. Unter seiner Wohnung gibt es einen über eine Wendeltreppe erreichbaren Hobbyraum. B's Sohn studiert Schlagzeug und ist Mitglied einer professionellen Jazzband. Er hat sein Schlagzeug im Hobbyraum aufgestellt und spielt dort regelmäßig. K klagt gegen B auf Unterlassung. Es handelt sich nach seiner Behauptung bei dem Schlagzeugspielen um eine gewerbliche Tätigkeit. Sowohl die Monotonie des Schlagzeugs als auch dessen Lautstärke belasteten ihn außerdem unerträglich. Der Sohn des B halte sich an keine Ruhezeiten, spiele zu sämtlichen Tageszeiten, selbst an Samstagen, Sonn- und Feiertagen. B meint, K könne das Schlagzeugspiel gar nicht hören. Aufgrund seines Studiums müsse sein Sohn jedenfalls täglich üben. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige S kommt zu dem Ergebnis, dass die Grenzen zumutbaren Lärms nach der bei Errichtung des Hauses geltenden DIN 4109 von 30 Dezibel um 2 bis 4 Dezibel überschritten werden.
4 Die Entscheidung
Die Klage hat teilweise Erfolg! Ein vollständiges Musikverbot käme nur aufgrund schwerwiegender, nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen nicht mehr hinnehmbarer Störung in Betracht. Eine solche liege nicht vor. Denn zwischen dem Hobbyraum, in dem Schlagzeug gespielt werde, und der Wohnung des K lägen 2 Vollgeschosse. Die Wohnung des K sei auch noch seitlich versetzt, sodass die Geräusche nicht in vollem Maße bei ihm ankämen, sondern gedämpft. Der Sohn des B müsse sich aber einschränken. Es sei angemessen, dass das Schlagzeugspielen zu den Ruhezeiten und zu den Abendstunden, unzulässig und zu unterlassen sei (von 20 Uhr bis 9 Uhr und von 13 Uhr bis 15 Uhr). Des Weiteren sei das Schlagzeugspielen nur für 2 Stunden am Werktag (worunter auch ein Samstag falle) erlaubt. An Sonn- und Feiertagen sei das Schlagzeugspielen für 1 Stunde täglich erlaubt, aber nicht in der Zeit zwischen 20 Uhr bis 9 Uhr und von 13 Uhr bis 15 Uhr.
Hinweis
- Regelt – wie im Fall – weder eine Vereinbarung noch ein Beschluss, wer, wann, wie lange Musik machen darf, gilt § 14 Nr. 1 WEG. Danach (i. V. m. Art. 2, 13, 14 GG) hat ein Wohnungseigentümer und/oder sein Angehöriger ein Recht darauf, Musik zu machen. Und zwar so viel er will, wenn man diese nicht wahrnehmen kann. Kann man sie hingegen wahrnehmen, bedarf es eines Ausgleichs der Interessen im Rahmen einer praktischen Konkordanz. Dabei sind die betroffenen Rechte miteinander abzuwägen und soweit wie möglich jeweils durchzusetzen. Dies führt bei Immissionen zu "Zeitfenstern", so z. B. beim Grillen, beim Rauchen oder beim Musikmachen. Das vom AG gefundene Zeitfenster hätte auch anders lauten können. Es ist aber gut vertretbar.
- Da der Streit ein "Nachbarstreit" ist, kann man fragen, ob er § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EGZPO i. V. m. Art. 1 Ziff. 1a) BaySchlG (Bayerisches Schlichtungsgesetz) unterfällt. Begründet wird dies im Kern damit, dass es sich um eine Streitigkeit "über Ansprüche wegen der in § 906 BGB geregelten Einwirkungen", handele, weil der Streitgegenstand den sachlichen Regelungsbereich des § 906 BGB betreffe. Das AG lehnt das ab. §§ 906ff. BGB seien zwischen Wohnungseigentümern nicht anwendbar. Zudem spreche gegen eine Anwendung des Schlichtungsverfahrens, dass die prozessuale Zulässigkeit einer Klage nicht von derart vagen Kriterien wie der möglichen analogen Anwendung materiell-rechtlicher Normen abhängen könne.
Ausblick WEG-Reform
Das WEMoG wird die Rechtslage nicht ändern. Allerdings findet sich die "goldene Regel" (füge deinen Nachbarn keinen vermeidbaren Nachteil zu) künftig in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WEG. Daneben wird sie u. a. erwähnt in §§ 5 Abs. 1 und 20 Abs. 3 WEG.
5 Entscheidung
AG München, Urteil v. 28.6.2018, 484 C 14424/16