Leitsatz
Der Insolvenzverwalter kann die Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft kündigen. Das insolvenzrechtliche Kündigungsverbot für gemieteten Wohnraum ist auf diesen Fall nicht entsprechend anwendbar.
(amtlicher Leitsatz des BGH)
Normenkette
GenG § 66; InsO § 109 Abs. 1 S. 2
Kommentar
Zwischen einer Wohnungsgenossenschaft und einem Mieter besteht ein Dauernutzungsvertrag über eine in Berlin gelegene Wohnung. Vor Abschluss des Vertrags hatte der Mieter die zur Zuteilung der Wohnung erforderlichen Geschäftsanteile eingezahlt. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 28.4.2006 wurde über das Vermögen des Mieters das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Der vom Gericht bestellte Treuhänder hat die Mitgliedschaft des Mieters in der Genossenschaft mit Schreiben vom 29.6.2006 gekündigt, um zu erreichen, dass das Geschäftsguthaben den Gläubigern des Mieters zur Verfügung steht. Der BGH hatte über die Wirksamkeit der Kündigung zu entscheiden.
Nach seiner Ansicht ist die Kündigung wirksam: Nach § 65 Abs. 1 GenG hat jedes Mitglied das Recht, seine Mitgliedschaft durch Kündigung zu beenden. Der Gläubiger eines Mitglieds kann das Kündigungsrecht an dessen Stelle ausüben, wenn er einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss betreffend das Geschäftsguthaben erwirkt hat und eine Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Mitglieds innerhalb der letzten sechs Monate fruchtlos verlaufen ist (§ 66 Abs. 1 GenG). Wird über das Vermögen des Mitglieds das Insolvenzverfahren eröffnet, so steht das Kündigungsrecht dem Insolvenzverwalter zu. Dies wird entweder aus § 80 Abs. 1 InsO oder aus einer analogen Anwendung des § 66 Abs. 1 GenG abgeleitet (Fandrich in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG, 3. Aufl., § 65 Rdn. 7). Ist die Mitgliedschaft beendet, so ist das Geschäftsguthaben an den Insolvenzverwalter auszuzahlen (§ 73 GenG).
Fraglich ist, ob der Kündigung die Regelung des § 109 Abs. 1 S. 2 InsO entgegensteht. Nach dieser Vorschrift ist die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses durch den Insolvenzverwalter ausgeschlossen. Auf diese Weise will der Gesetzgeber verhindern, dass der Mieter im Fall der Insolvenz seine Wohnung verliert. Eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift auf die Kündigung der Mitgliedschaft scheidet aus. Jedoch ist nicht zu verkennen, dass das Ausscheiden des Mitglieds aus der Genossenschaft den Verlust der Wohnung zur Folge haben kann.
Nach allgemeiner Ansicht ist der sog. "Dauernutzungsvertrag" der Wohnungsgenossenschaften als Mietvertrag zu bewerten. Für die ordentliche Kündigung eines solchen Vertrags müssen demnach die für die Wohnungsmiete maßgeblichen Vorschriften beachtet werden. Nach § 573 Abs. 1 BGB kann ein Wohnraummietverhältnis unter anderem auch dann gekündigt werden, wenn der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Hierzu hat der BGH entschieden, dass eine Genossenschaftswohnung nach dieser Vorschrift jedenfalls dann gekündigt werden kann, wenn zwei Voraussetzungen gegeben sind:
- Zum einen muss die Mitgliedschaft in der Genossenschaft durch freiwilligen Austritt oder durch Ausschluss nach § 68 GenG beendet sein.
- Zum anderen ist erforderlich, dass die Wohnung für die Versorgung eines anderen Mitglieds benötigt wird (BGH, Urteil v. 10.9.2003, VIII ZR 22/03, NJW-RR 2004, 12).
Ob diese Grundsätze auch dann gelten, wenn die Mitgliedschaft durch den Insolvenzverwalter gekündigt wird, hat der BGH allerdings noch nicht entschieden. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob § 109 Abs. 1 S. 2 InsO auf diesen Fall analog anzuwenden ist.
Dies wird vom Senat verneint. Eine Analogie setzt neben einer planwidrigen Regelungslücke voraus, dass der zu beurteilende Sachverhalt mit dem gesetzlich geregelten Sachverhalt hinreichend vergleichbar ist. Nach Ansicht des Senats fehlt es an dem letztgenannten Merkmal. Das Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Kündigung der Mitgliedschaft durch den Insolvenzverwalter nicht zwangsläufig zum Verlust der Wohnung führt. Vielmehr setzt der Verlust der Wohnung voraus, dass die Genossenschaft das Mietverhältnis kündigt. Hierbei könne die Bereitschaft des Mieters, sich bei Beendigung des Insolvenzverfahrens erneut um eine Mitgliedschaft zu bemühen, entweder nach § 573 oder § 574 BGB berücksichtigt werden.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 19.03.2009, IX ZR 58/08BGH, Urteil v. 19.3.2009, IX ZR 58/08, NJW 2009, 1820 m. Anm. Tetzlaff, jurisPR-InsR 11/2009 Anm. 2