Die Vorstellungen über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gehen auch unter deutschen Rechtsexperten weit auseinander. Dies wurde Mitte April in einer Sachverständigen-Anhörung des Innenausschusses des Bundestags zu der Reform deutlich.
Eine Sachverständige vom Paritätischen Gesamtverband betonte, mit der Reform des europäischen Asylsystems drohten weitgehende Absenkungen der aktuellen Schutzstandards. Sie berge auch das Risiko, den Zugang zum individuellen Asylrecht in Europa abzuschaffen und "den Flüchtlingsschutz perspektivisch sehr weitgehend aus Europa auszulagern". Die Konzepte erster Asylstaaten und sicherer Drittstaaten dienten im Wesentlichen dazu, Asylsuchende an andere Staaten zu verweisen, die an Stelle der EU-Länder die Flüchtlingsverantwortung übernehmen sollen. Die zur Rechtfertigung dieser Politik angeführte Überforderung des europäischen Asylsystems liege jedoch nicht vor und sei aktuell auch nicht zu befürchten.
Ein Professor von der Universität Konstanz bejahte die Frage, ob sich die vorgesehene Harmonisierung des Asylrechts außerhalb der Rechtsprechung des BVerfG bewege. Dies sei jedoch keine gravierende Einschränkung. Das BVerfG werde prüfen, ob der Grundrechtsschutz, der im neuen System gewährt wird, im Wesentlichen vergleichbar ist, und dies sei hier der Fall. Wenn es überhaupt eine Reduzierung des Grundrechtsschutzes gebe, sei diese nur sehr gradueller Natur.
Ein Sachverständiger der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI) mahnte, man brauche so schnell wie möglich ein "humanes, effizientes, mehrheitsfähiges und europäisches System". Ein solches System habe es in den vergangenen 20 Jahren nicht gegeben, und es werde auch nicht mit den Vorschlägen der EU-Kommission sowie des Rates und des Europäischen Parlaments geschaffen. Gebraucht werde ein System, bei dem ab einem Stichtag schnell entschieden werden könne, wer Schutz benötige, sowie Abkommen mit Herkunftsländern in Afrika, "die ab diesem Stichtag jeden zurücknehmen, der nach einem fairen Verfahren keinen Schutz bekommt".
Ein Experte vom Deutschen Landkreistag argumentierte, bei der Reform müsse es darum gehen, die Zahl der Flüchtlinge, die Aufnahme in Europa suchen, dauerhaft zu begrenzen. Das setze vor allem eine wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen in den Heimatländern voraus. Darüber hinaus solle man bei voller Anerkennung des Völkerrechts und unserer menschenrechtlichen Verpflichtungen dafür sorgen, dass nur tatsächlich schutzbedürftige Menschen aufgenommen werden. Deshalb begrüße er Vorschläge zu einer konsequenten Anwendung des Konzepts der sicheren Drittstaaten und des sicheren Herkunftslandes.
Ein weiterer Sachverständiger wies darauf hin, dass zahlreiche Urteile nationaler und europäischer Gerichte zeigen, dass die EU-Gesetzgebung teilweise über die völker- und menschenrechtlichen Mindeststandards hinausgeht. Den EU-Organen stehe es jedoch auch frei, überobligatorische Bestimmungen abzubauen, so wie es die Staats- und Regierungschefs für sichere Drittstaaten wünschen.
[Quelle: Bundestag]