Bedeutung der geänderten Rechtsprechung
Wer Ansprüche im Zusammenhang mit Mängeln bei Bauvorhaben geltend gemacht hat, leitet häufig ein gerichtliches Beweisverfahren ein. Dort werden die behaupteten Mängel vom Sachverständigen festgestellt und die Behebungskosten geschätzt. Der Besteller hat dann die Wahl, ob er Kostenvorschuss oder die vom Sachverständigen ermittelten Mängelbeseitigungskosten im Wege des kleinen Schadensersatzes geltend macht.
Hinweis:
Mit dieser jahrzehntealten Praxis ist jetzt Schluss: Weder gegen den Bauunternehmer noch gegen den Architekten kann der in einem Baumangel liegende Vermögensschaden nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen werden. Das gilt für alle Bauverträge, die nach dem 1.1.2002 geschlossen worden sind. Die bisherige Rechtsprechung zu fiktiven Mängelbeseitigungskosten wurde aufgegeben. Anders als bisher können die Kosten der Mangelbeseitigung nicht mehr einfach durch Schätzung oder Ermittlung von Sachverständigen belegt und eingeklagt werden.
Der Senat zeigt verschiedene Möglichkeiten auf, die dem Besteller Schadensberechnungen ermöglichen (s. Leitsätze 2a, 2b). Beispielsweise kann der Minderwert des Werks wegen des nicht beseitigten Mangels geschätzt werden, auch kann der Besteller Befreiung von den zur Mängelbeseitigung eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen. Schließlich bleibt dem Besteller die Möglichkeit, Vorschuss geltend zu machen, über den später abzurechnen ist.
Zusätzlich erweitert die Entscheidung des VII. Zivilsenats die Möglichkeit der Klage gegen den Architekten: Anders als bisher kann ein solcher Kostenvorschussanspruch auch gegen den Architekten verfolgt werden.
Hinweis:
Klar ist aber: Sowohl im Verhältnis zum Bauunternehmer als auch zum Architekten scheidet ein Zahlungsanspruch in Höhe der fiktiven, ggf. durch den Sachverständigen ermittelten Mängelbeseitigungskosten aus.
Das bisher übliche Verfahren, Schätzung der Kosten durch einen Sachverständigen im selbstständigen Beweisverfahren und Geltendmachung dieser Mangelbeseitigungskosten als Schadensersatz, ist ab sofort nicht mehr möglich. Das gilt für alle Werkvertragsverhältnisse seit der Schuldrechtsreform (1.1.2002). Der VII. Senat bricht ausdrücklich mit der bisherigen etablierten Rechtsprechung, nach der die Zahlung in Höher fiktiver Mängelbeseitigungskosten verlangt werden konnte. Dabei stand es dem Besteller frei, ob er den Schaden tatsächlich beseitigt oder nicht. In jedem Fall konnte er den hierfür erforderlichen Geldbetrag einklagen und behalten (BGH, Urt. v. 28.6.2007 – VII ZR 8/06, BauR 2007, 1567 = NJW 2007, 2697).
Der Wechsel in der Rechtsprechung ist nicht wirklich überraschend: Den Gesichtspunkt der Überkompensation bei der Geltendmachung von Schadensersatz hat der Senat bereits mehrfach betont (Urt. v. 22.7.2010 – VII ZR 176/09, BGHZ 186, 330; Urt. v. 11.3.2015 – VII ZR 270/14, BauR 2015, 1321 = NJW 2015, 1875, Rn 5). Zurück geht dieser Gedanke der Überkompensation und ihrer Vermeidung auf den RiBGH Halfmeier, der dem VII. Senat angehört. Halfmeier hat schon frühzeitig deutlich gemacht: Für die Geltendmachung fiktiver Mängelbeseitigungskosten gibt es seit der Schuldrechtsmodernisierung kein zwingendes und das Ergebnis rechtfertigendes Bedürfnis mehr (Halfmeier BauR 2013, 325). Im Grunde war es nur eine Frage der Zeit, bis sich der gesamte VII. Zivilsenat dieser Auffassung anschließen und seine Rechtsprechung entsprechend ändern würde.
Problem für die anwaltliche Praxis
Wer jetzt als Anwalt entgegen der neuen Entscheidung nach den bisherigen Usancen verfährt, also kleinen Schadensersatz nach Ermittlung von Sachverständigen oder Schätzungen einklagt, wird scheitern und sich der Haftung ausgesetzt sehen. Das Verbot der Geltendmachung fiktiver Mängelkosten gilt nach der Rechtsprechung des VII. Senats für alle Bauverträge nach der Schuldrechtsmodernisierung (BGH, Urt. v. 22.2.2018 – VII ZR 46/17, Rn 31, vgl. auch unter 1.).
Praxishinweis:
Der Anwalt muss daher, um eine mögliche Haftung zu vermeiden, in allen von ihm bearbeiteten Fällen, die noch nicht erledigt sind, genau überprüfen, ob möglicherweise – jetzt – rechtlich nicht mehr durchsetzbare Schadensersatzansprüche nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen wurden.
Ist das der Fall, muss er unverzüglich handeln: Er kann ein auf der Basis fiktiver Mängelbeseitigungskosten eingeleitetes Verfahren nicht einfach so weiterlaufen lassen. Für den Anwalt, der im Baurecht tätig ist, entsteht hier eine ganz erhebliche Zusatzbelastung: Er muss alle von ihm bearbeiteten Baurechtsfälle daraufhin überprüfen, ob die neue Entscheidung des BGH ggf. eine Umstellung der bisherigen Anträge und Begründungen (statt fiktiver Mängelbeseitigungskosten) erforderlich macht, also etwa eine Umstellung auf Kostenvorschuss oder eine andere vom Senat gebilligte Berechnungsmethode. Tut er dies nicht, setzt er sich einem Haftungsrisiko aus.
Der Anwalt wird sich in allen insoweit relevanten Verfahren an Folgendem orientieren müssen: Ein Übergang zum Vorschussanspruc...