I. Einleitung
"Wichtig ist, was hinten rauskommt" – dieses bekannte Zitat von Helmut Kohl passt relativ gut zum Strafverfahren, dürfte es doch den allermeisten Angeklagten primär nicht auf juristische Feinheiten, sondern auf das Endergebnis, also auf die ausgesprochene Strafe, ankommen.
Bei deren Bemessung verfügt der Tatrichter über einen weiten Entscheidungs- und Wertungsspielraum. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch die Revisionsgerichte findet nicht statt (vgl. hierzu die zahlreichen Nachweise bei Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 46 Rn 146 [im Folgenden kurz: Fischer]). Die Strafzumessung sei Sache des Tatgerichts; in Zweifelsfällen habe man dessen Wertung hinzunehmen (BGH NStZ 2019, 138).
Völlig freie Hand hat der Tatrichter bei der Strafzumessung aber dennoch nicht: So kann das Revisionsgericht eingreifen, wenn der Tatrichter von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist, seine Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht lassen oder wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (BGH, Urt. v. 18.10.2018 – 3 StR 292/18). Letzteres geschieht zwar eher selten, aber zumindest offensichtliche Ausreißer lassen sich in der Revision dann doch korrigieren (vgl. BGH StV 2018, 486: vier Jahre Freiheitsstrafe für den Besitz von ca. 85 g Haschisch).
Außerdem können auch lückenhafte Strafzumessungserwägungen einen Rechtsfehler begründen. Bleiben maßgebliche Aspekte außer Betracht, sind die Anforderungen des § 267 Abs. 3 S. 1 StPO, wonach in den Urteilsgründen die Umstände, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind, angeführt werden müssen, nicht erfüllt.
Hinweis:
Eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen wird aber vom BGH nicht verlangt; eine solche sei weder vorgeschrieben noch möglich (BGH NStZ-RR 2008, 343). Ein Rechtsfehler liegt nach Ansicht des BGH vielmehr erst vor, wenn ein wesentlicher, die Tat prägender Gesichtspunkt erkennbar nicht berücksichtigt wurde (BGH a.a.O.).
Die nachfolgenden Ausführungen geben, unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung der Revisionsgerichte, einen Überblick über einige der häufigsten Probleme bei der Strafzumessung.
II. Strafrahmenwahl
Bevor auf die einzelnen, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände eingegangen wird (Strafzumessung im engeren Sinne), hat das Gericht darzulegen, aus welchen Gründen es von welchem Strafrahmen ausgegangen ist.
Hier ist insbesondere zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall (z.B. §§ 177 Abs. 9, 244 Abs. 3, 249 Abs. 2, 250 Abs. 3 StGB) vorliegt. Zudem ist in den Blick zu nehmen, ob eine Verschiebung des Strafrahmens über § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt, etwa wegen eines zwischenzeitlich erzielten Täter-Opfer-Ausgleichs gem. § 46a StGB oder einer vom Angeklagten geleisteten Aufklärungshilfe gem. § 46b Abs. 1 StGB.
Hinweis:
Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass die insoweit relevanten Umstände bereits bei der Wahl des konkreten Strafrahmens in die Erwägungen des Gerichts einbezogen wurden. Es genügt nicht, einen Umstand, der zu einer Strafrahmenverschiebung führen kann, erst später, bei den allgemeinen Strafzumessungsumständen, zu erörtern (BGH, Beschl. v. 4.12.2018 – 1 StR 519/18).
1. Minder schwere Fälle
Bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder folgen. Ein minder schwerer Fall kommt nur in Betracht, wenn die mildernden Faktoren beträchtlich überwiegen (Fischer, § 46 Rn 85 m.w.N.). Allerdings kann bereits das Vorliegen eines vertypten Strafmilderungsgrunds (z.B. verminderte Schuldfähigkeit, § 21 StGB) zur Annahme eines minder schweren Falls führen (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 8).
Hinweis:
Das bloße Fehlen strafschärfender Gesichtspunkte reicht für die Annahme eines minder schweren Falls dagegen nicht aus. Es ist deshalb verfehlt, wegen der Nichterfüllung weiterer tateinheitlicher Straftatbestände oder dem Nichtvorliegen von Qualifikationen vom Regelstrafrahmen abzuweichen (BGH, Beschl. v. 18.10.2018 – 3 StR 292/18).
Die Frage, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, beschäftigt die Revisionsgerichte insbesondere in Betäubungsmittelverfahren relativ häufig. So kann eine nur geringe Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge i.S.d. § 29a BtMG für einen minder schweren Fall sprechen (BGH, Beschl. v. 16.1.2019 – 2 StR 488/18). Umgekehrt spricht eine ganz erhebliche Überschreitung gegen die Annahme eines solchen (vgl. BGH BGHSt 62, 90 für das 7,5-fache der nicht geringen Menge).
Hinweise:
Der BGH ist hier mitunter recht großzügig. So soll das "nur" dreifache Überschreiten der nicht geringen Menge nicht nur keinen Strafschärfungsgrund darstellen, sondern sogar eher für die Annahme eines minder schweren Falls sprechen (BGH, Beschl. v. 16.1.2019 – 2 StR 488/18). Zudem sei eine Üb...