Eine für viele Kommentatoren „bahnbrechende Entscheidung” hat das BVerfG Ende April verkündet. Das höchste deutsche Verfassungsgericht habe „Klimaschutz zum Grundrecht” erklärt, werteten einige Medien. Selbst die Verfassungskläger gaben zu, mit einem Erfolg in Karlsruhe nicht gerechnet zu haben.
Mit seinem am 29. April verkündeten Beschluss von März dieses Jahres entschied das BVerfG, dass die Regelungen des Klimaschutzgesetzes vom 12.12.2019 (Klimaschutzgesetz – KSG) über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionsmengen insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18 u.a.). Es gab damit den Verfassungsbeschwerden einer Reihe von – überwiegend jüngeren – Klimaschützern statt, die geltend gemacht hatten, der Staat habe keine ausreichenden Regelungen zur alsbaldigen Reduktion von Treibhausgasen unternommen; dies sei aber erforderlich, um die Erwärmung der Erde bei 1,5 °C oder wenigstens bei deutlich unter 2 °C anzuhalten. Die Einhaltung dieser Grenzen sei notwendig, weil bei einem Temperaturanstieg um mehr als 1,5 °C Millionen von Menschenleben sowie das Überschreiten von Kipppunkten mit unabsehbaren Folgen für das Klimasystem auf dem Spiel stünden.
Ihr Vorbringen hatte größtenteils Erfolg. Das BVerfG verneinte zwar, dass der Gesetzgeber mit diesen Bestimmungen gegen seine grundrechtlichen Schutzpflichten gegenüber den die Beschwerdeführer oder gegen das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG verstoßen habe. Allerdings seien die „zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden” durch die unzureichenden Bestimmungen in ihren Freiheitsrechten verletzt. Denn die Vorschriften des KSG verschöben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Deshalb, so das BVerfG, entfalten die angegriffenen Regelungen „eingriffsähnliche Vorwirkung auf die durch das Grundgesetz umfassend geschützte Freiheit”.
Das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Art. 20a GG sei dahingehend konkretisiert, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur dem sog. Paris-Ziel entsprechend auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um das zu erreichen, müssten die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten sei praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht seien. Der Gesetzgeber hätte daher zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern. Zu dem danach gebotenen rechtzeitigen Übergang zu Klimaneutralität reichten die gesetzlichen Maßgaben für die Fortschreibung des Reduktionspfads der Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2031 nicht aus. Der Gesetzgeber sei daher verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 näher zu regeln. Die Richter setzten dem Gesetzgeber hierfür eine Frist: Die Nachbesserung muss bis spätestens 31.12.2022 erfolgen.
Die ersten Reaktionen auf die Entscheidung fielen einhellig positiv aus. Umweltverbände bezeichneten den Beschluss aus Karlsruhe als bahnbrechend; die Sprecherin der Bewegung „Fridays for Future” kommentierte: „Es ist ein unfassbar großer Tag für viele”. Selbst die – mit dem Beschluss eigentlich gescholtenen – Politiker übten sich in Zustimmung. So begrüßte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) die Entscheidung und betonte, dass sie sich bisher schon dafür eingesetzt habe, dass eine Regelung auch für die Zeit nach 2030 getroffen werde; das aber sei mit dem Koalitionspartner „nicht machbar” gewesen. Selbst Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) maß dem Karlsruher Verdikt „große Bedeutung” zu: Es sei „epochal für Klimaschutz und Rechte der jungen Menschen”, twitterte der Politiker. Zugleich sorge es für Planungssicherheit bei der Wirtschaft.
[Red.]