Expertenrat für Klimafragen: 2030-Ziele erfordern Umsteuern

Der Expertenrat für Klimafragen erwartet eine Verfehlung des deutschen 2030-Klimaziels – widerspricht damit Robert Habeck und dem Umweltbundesamt (UBA) – und empfiehlt ein rasches Umsteuern. Nötig seien vor allem auch neue Instrumente für den Gebäudesektor.

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hat es als großen Erfolg gefeiert: Deutschland sei beim Klimaschutz auf Kurs, erklärte er im März 2024. Nun widerspricht das wichtigste Expertengremium ausdrücklich.

Expertenrat erwartet Zielverfehlung beim 2030-Klimaziel

Man gehe von einer Verfehlung des Treibhausgasminderungsziels für das Jahr 2030 aus, erklärte der Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, Hans-Martin Henning, am 3. Juni in Berlin. In einem rund 130 Seiten umfassenden Sondergutachten wurden die Projektionen – also Vorausberechnungen – des Umweltbundesamts (UBA) überprüft.

Minister Habeck hatte Mitte März erklärt: "Wenn wir Kurs halten, erreichen wir unsere Klimaziele 2030." Das sieht der Expertenrat anders. Bis zum Jahr 2030 soll der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen laut Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Bis 2040 sollen es mindestens 88 Prozent sein und 2045 soll Deutschland klimaneutral sein – also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als auch wieder gebunden werden können.

"In Summe können wir die von den Projektionsdaten 2024 ausgewiesene kumulierte Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen", erklärte Henning. Er rät zur Erstellung weiterer Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen. Ein Sprecher Habecks konterte, man habe auch auf Unsicherheiten hingewiesen und zudem sei es ja "unter bestimmten Bedingungen" auch möglich, das Klimaziel zu erreichen.

UBA-Projektionsdaten: Net-Zero-Gebäude – es gibt noch viel zu tun

Mitte März 2024 veröffentlichte das UBA das Kurzpapier "Treibhausgas-Projektionen 2024 – Ergebnisse kompakt". Wie daraus hervorgeht, sind die Emissionen im vergangenen Jahr insgesamt deutlich zurückgegangen: Das Ziel von 65 Prozent weniger CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2030 im Vergleich zum Referenzjahr 1990 rücke in greifbare Nähe, heißt es. Das deutsche Net-Zero-Ziel bis 2045 ist auch laut UBA-Daten mit den derzeitigen Maßnahmen aber nicht erreichbar.

Im Gebäudebereich sieht die Behörde zwar Fortschritte – der Rückgang der klimaschädlichen Emissionen betrug im Vergleich zum Vorjahr rund acht Millionen Tonnen (ein Minus von knapp acht Prozent) –, der Sektor liegt aber bei den im KSG festgelegten zulässigen Emissionsmengen immer noch weit hinter den Erwartungen zurück. Die Sektorlücke bis 2030 beträgt laut UBA 32 Millionen Tonnen Treibhausgase.

Die Projektionsberichte werden durch ein unabhängiges Forschungskonsortium erstellt, das die Auswirkungen der Klimaschutzpolitik auf die Treibhausgasemissionen abschätzt.

Treibhausgas-Projektionen 2024 – Ergebnisse kompakt (PDF)

Treibhausgas-Projektionen 2024 für Deutschland – Instrumente (PDF)

Klimaziele: Warum der Expertenrat pessimistisch ist – zwei Gründe

Zwar würde laut den UBA-Projektionen Deutschland knapp innerhalb des gesetzlich erlaubten Budgets an Treibhausgasemissionen bleiben, der Expertenrat erwartet aber nicht, dass es so kommt und nennt dafür zwei Gründe:

Erstens fehlten bei den Projektionsdaten Angaben zur Wahrscheinlichkeit, dass sich der Treibhausgasausstoß tatsächlich so entwickelt wie angenommen. Anhand eigener Berechnungen geht der Expertenrat davon aus, dass nicht von einer Erreichung des 2030-Ziels ausgegangen werden sollte – auch wenn zu erwarten sei, dass die Emissionen erheblich sinken. Die vorausberechneten Emissionen wurden – auch im Bereich Gebäude – nach Einschätzung der Fachleute unterschätzt.

Das wiederum führt der Expertenrat auf den zweiten Grund zurück: Wichtige Entwicklungen, die in die UBA-Berechnungen nicht eingeflossen sind. Habecks Optimismus beruhte demnach auf teils überholten Annahmen, wie Kritiker schon im März 2024 anmerkten. Denn in die Berechnungen sind nur Daten bis zum Oktober 2023 eingeflossen. Erst danach wurde – unter dem Sparzwang des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil v. 15.11.2023; Az. 2 BvF 1/22) – der wichtige Energiewendetopf Klima- und Transformationsfonds zusammengestrichen. Der Expertenrat verweist auf diese Kürzungen, aber auch auf veränderte Markterwartungen für Gaspreise und Zertifikatspreise im europäischen Emissionshandel.

Die Projektionsberichte werden durch ein unabhängiges Forschungskonsortium erstellt, das die Auswirkungen der Klimaschutzpolitik auf die Treibhausgasemissionen abschätzt.

Sondergutachten zur Prüfung der Treibhausgas-Projektionsdaten 2024 (Download)

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Klimaschutzgesetz-Novelle: Kontrolle der Ziele sektorenübergreifend

Die Einhaltung der Klimaziele wird mit der Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes künftig nicht mehr rückwirkend nach verschiedenen Sektoren kontrolliert, sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Die Bundesregierung soll dann entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden kann – allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt.

Die Umsetzung der Novelle wird in den Projektionsberichten abgebildet, die das UBA in Abstimmung mit den zuständigen Ressorts aller Sektoren auf Bundesebene koordiniert. Nach § 5 KSG werden am 15. März jeden Jahres die Daten der Treibhausgasemissionen des Vorjahres nach festgelegten Sektoren festgelegt. Die sind die Grundlage für die im KSG festgesetzten Aufgaben des Expertenrats für Klimafragen, der jeweils einen Monat Zeit hat, die Daten zu prüfen. Danach müssen die zuständigen Ministerien innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm zum Erreichen der Klimaziele vorlegen.

Klimaschutzberichte: Der Hintergrund

Mit der KSG-Novelle 2021 wurden die Klimaziele bereits erhöht. Zu den Maßnahmen zählten das "Klimaschutzprogramm 2030", das vom Bundeskabinett im Oktober 2019 beschlossen wurde. Dazu gehören die CO2-Bepreisung und das "Fit For 55"-Paket zur Umsetzung des EU-Klimaziels. Im Mai 2021 wurde ein "Sofortprogramm 2022" beschlossen, das zusätzliche Maßnahmen enthielt, für die erhebliche Mittel für die Förderung energieeffizienter Gebäude in Aussicht gestellt wurden.

In den Klimaschutzberichten nach § 10 Absatz 1 KSG berichtet die Bundesregierung dem Parlament über den jeweils aktuellen Stand der Klimapolitik, die Entwicklung der CO2-Emissionen, den Stand der Umsetzung der Klimaschutzprogramme und der Minderungswirkung. Das Monitoring findet jährlich statt. Der Klimaschutzbericht 2021 war der erste Bericht nach KSG-Vorgaben.

Klimaschutzbericht 2021

Klimaschutzbericht 2022

Klimaschutzbericht 2023

GdW: "Bezahlbarkeit first!" muss auch für Vermieter gelten

In dem Sondergutachten rät der Expertenrat für Klimafragen, dass die Ampel-Regierung rasch neue Instrumente zur Verringerung der CO2-Emissionen in Deutschland prüft und thematisiert erstmals auch die soziale und gesellschaftliche Dimension klimapolitischer Maßnahmen. Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, sagte dazu: "Gerade beim Wohnen muss bei der Umsetzung der ambitionierten Klimaziele der Grundsatz gelten: Bezahlbarkeit first!"

Zwischen den hochgesteckten Zielen und den vorhandenen Möglichkeiten der bezahlbaren Umsetzung bestehe eine deutliche Lücke, das hätte das Expertengremium erkannt, so Gedaschko weiter. Künftig müsse der Grundsatz gelten: "Weg von zusätzlichen Vorgaben für Energieeffizienz bei Gebäuden, die im Verhältnis zu den enormen Kosten nicht den notwendigen Einspareffekt bringen. Und hin zur Ermöglichung von erneuerbaren quartiersübergreifenden Lösungen, bei denen der beste Mix aus CO2-freier Energieversorgung und rationeller Energieverwendung mit Augenmaß umsetzbar wird."

Eine verlässliche finanzielle Unterstützung für die Wärmewende im Bestand hält der GdW-Chef ebenfalls für notwendig. Es könne nicht sein, dass sozial orientierte Wohnungsunternehmen gegenüber privaten Vermietern bei der Förderung benachteiligt würden und den sogenannte Speed-Bonus für den Heizungstausch sowie den Sozialbonus nicht in Anspruch nehmen könnten.


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