Das Unionsrecht kennt für die rechtliche Bewertung jeder Form der Arbeit und der Freizeit nur zwei Kategorien: „Arbeitszeit” oder „Ruhezeit”. Danach gilt:
- Bereitschaftsdienst/Bereitschaftszeit von Arbeitnehmern ist unionsrechtlich entweder als „Arbeitszeit” oder als „Ruhezeit” i.S.d. Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG v. 4.11.2003) einzustufen ist und
- eine Zeitspanne, in der Arbeitnehmer tatsächlich keine Tätigkeit für ihre Arbeitgeber ausüben, nicht zwangsläufig eine Ruhezeit darstellt, ist wie folgt zu differenzieren und zu bewerten (s. hierzu etwa Vogelsang in: Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 156). So kann auch eine Pause Arbeitszeit sein.
Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn Arbeitnehmer sich an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten haben, um, soweit notwendig, ihre Arbeit sofort oder zeitnah aufzunehmen. Unter Arbeitsbereitschaft ist zu verstehen, dass sich Arbeitnehmer dem Arbeitgeber am Arbeitsplatz zur Verfügung stellen und sich ständig bereithalten müssen, um im Bedarfsfall von Ihnen aus tätig werden zu können. Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft sind Arbeitszeit i.S.v. § 2 Abs. 1 ArbZG, s. § 7 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ArbZG. Bereitschaftszeit ist allerdings nicht vergütungsmäßig der Arbeitszeit gleichgestellt, die Art und Weise der Vergütung für Bereitschaftszeiten unterfällt nicht der Richtlinie 2003/88, sondern unterliegt dem innerstaatlichen Recht (EuGH, Urt. v. 9.3.2021 – C-344/19, NZA 2021, 485 Rn 57 f. m.w.N.). In Deutschland ist Bereitschaftszeit jedoch vergütungspflichtige Arbeit i.S.v. § 611 Abs. 1 BGB und, mangels hiervon abweichender Regelung, jedenfalls mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten; die gesetzliche Vergütungspflicht des MiLoG differenziert nicht nach dem Grad der tatsächlichen Inanspruchnahme (BAG, Urt. v. 29.6.2016 – 5 AZR 716/15, NZA 2021, 1332).
Unter Rufbereitschaft ist die Verpflichtung von Arbeitnehmern zu verstehen, sich an einem selbstbestimmten, aber dem Arbeitgeber anzugebenden Ort auf Abruf zur Arbeit bereit zu halten. Die Rufbereitschaft zählt grds. nicht zur Arbeitszeit i.S.d. ArbZG, nur die Zeit, die für die tatsächliche Erbringung von Leistungen aufgewandt wird, ist als Arbeitszeit anzusehen. Etwas anderes gilt jedoch nach der EG-Arbeitszeitrichtlinie, wenn eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die den Arbeitnehmern während der Bereitschaftszeiten auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie in ihren Möglichkeiten, die Zeit, in der ihre beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie ihren eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigt werden. Zur Abgrenzung zwischen Rufbereitschaft und Arbeitszeit (s. nunmehr EuGH, 11.11.2021 – C-214/20, NJW 2022, 233 hierzu Klein, jurisPR-ArbR 1/2022 Anm. 1).
Auch Pausen/Ruhezeiten können Arbeitszeit i.S.v. Art. 2 der RL 2003/88/EG sein (EuGH, Urt. v. 9.9.2021 – C-107/19, NJW 2021, 3173). In dem dort entschiedenen Fall musste ein als Betriebsfeuerwehrmann tätiger Arbeitnehmer während seiner 30-minütigen Pause über sein Funkgerät erreichbar bleiben, um im Einsatzfall ggf. innerhalb von 2 Minuten wieder arbeitsbereit zu sein. Das Gericht sieht die gewährte Ruhepause als „Arbeitszeit” i.S.v. Art. 2 der Richtlinie an, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Pause auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeiten beschränken, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen. Dies zu beurteilen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Der EuGH hatte sich ferner damit zu befassen, ob arbeitgeberseitig angeordnete berufliche Fortbildung als Arbeitszeit i.S.d. Richtlinie anzusehen ist (EuGH, Urt. v. 28.10.2021 – C-909/19, NZA 2021, 1623, hierzu Holler jurisPR-ArbR 51/2021, Anm. 1). Dies bejaht das Gericht, wobei es maßgeblich darauf abstellt, dass der Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers die Fortbildung absolviert und hierbei auch Weisungen des Arbeitgebers unterliegt. Nach deutschem Recht dürfte sich dieses Ergebnis bereits aus § 2 Abs. 1 ArbZG ergeben. Zu klären ist ferner, ob bzw. in welchem Umfang die infolge der Fortbildung notwendigen Reisezeiten als Arbeitszeit anzusehen und dann, mangels anderer Absprachen, als solche zu vergüten sind. Dies dürfte europarechtlich zu bejahen sein (s. EuGH, Urt. v. 10.9.2015 – C- 266/14, NZA 2015, 1177). Gleiches gilt auch nach deutschem Recht. Dienstreisezeit ist allgemein als Arbeitszeit anzusehen (s. zu Hin- und Rückreisen bei vorübergehender Entsendung zur Arbeit ins Ausland BAG, Urt. v. 17.10 2018 – 5 AZR 553/17 NZA 2019, 159, hierzu Boemke, jurisPR-ArbR 10/2019 Anm. 1, s. auch Küttner Personalbuch 2021/Griese Dienstreise Rn 4). Die dem entgegenstehende Entscheidung des BAG v. 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, NZA 2007, ...