Zu Beginn der aktiven Nutzungspflicht war unklar, in welchem Umfang diese Rechtsanwälte trifft. Es wurde vertreten, dass die aktive Nutzungspflicht nur i.R.d. anwaltlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts bestand, sog. rollenbezogener Anwendungsbereich (Biallaß in: Ory/Weth, a.a.O., § 130d ZPO, Rn 19; Schmidt, ZVI 2022, 89, 90; Schwartz/Meyer, ZInsO 2021, 2475, 2476; Kollbach, INDat Report 03_2022, 28, 30 ff.).
Beispiel:
Das LG Hildesheim vertrat, dass der Anwendungsbereich des § 14b Abs. 1 FamFG nicht eröffnet sei, wenn ein auch als Berufsbetreuer tätiger Rechtsanwalt in dieser Eigenschaft ein Rechtsmittel einlegt. Etwas anderes ergebe sich nicht aus der Verwendung eines Briefkopfes mit dem Zusatz „Rechtsanwalt”. Der Begriff „Rechtsanwalt” in § 14b Abs. 1 FamFG sei rollenbezogen auszulegen. Eine aktive Nutzungspflicht bestehe nur i.R.d. anwaltlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts (LG Hildesheim, Beschl. v. 12.7.2022 – 5 T 163/22 – juris Rn 5 ff.).
Das Arbeitsgericht Stuttgart ging ebenfalls davon aus, dass in der Konstellation der Prozessvertretung durch einen Verbandsvertreter, der im Nebenberuf eigene Mandate als Rechtsanwalt betreut, ein rollenbezogenes Verständnis des Begriffs „Rechtsanwalt” in § 46g S. 1 ArbGG angezeigt sei (ArbG Stuttgart, Beschl. v. 18.7.2022 – 4 Ca 1688/22 – juris Rn 9 ff.).
Die Gegenansicht bejahte die aktive Nutzungspflicht bei allen Übersendungen an das Gericht allein aufgrund der Zugehörigkeit zu der Berufsgruppe der Rechtsanwälte, sog. statusbezogener Anwendungsbereich (Blankenburg, ZVI 2021, 462, 463; Büttner, ZInsO 2022, 277, 278; Beth, ZInsO 2021, 2652, 2653 f.; Müller/Müller, FamRZ 2022, 1169, 1170).
Beispiel:
Ein Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, der ausweislich des Briefkopfs und der Zeichnung des Schriftsatzes auch als Rechtsanwalt zugelassen ist, unterliegt seit dem 1.1.2022 der aktiven Nutzungspflicht des ERVs (BFH, Beschl. v. 27.4.2022 – XI B 8/22 – juris Rn 7 ff.; FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.3.2022 – 8 V 8020/22 – juris Rn 16; FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 6.10.2022 – 4 K 1341/22 – juris Rn 40).
Es wurde vertreten, dass dies auch gilt, wenn der den Schriftsatz verantwortende Berufsträger einer Berufsausübungsgesellschaft, in der neben Steuerberatern auch Rechtsanwälte oder Notare tätig sind, als Rechtsanwalt zugelassen und dies aus dem Briefkopf ersichtlich ist (FG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 12.7.2022 – 4 V 1340/22 – juris Rn 13 ff.). Der BFH hat jedoch entschieden, dass eine zum Einreichungszeitpunkt noch nicht der aktiven Nutzungspflicht unterliegende Steuerberatungsgesellschaft mbH nicht dadurch nutzungspflichtig wurde, dass für sie ein gesetzlicher Vertreter (§ 55d Abs. 2 StBerG) handelte, der in seiner beruflichen Funktion als Rechtsanwalt nach § 52d S. 1 FGO nutzungspflichtig wäre, wenn er als solcher selbst dem Gericht gegenüber auftreten würde (BFH, Zwischenurt. v. 25.10.2022 – IX R 3/22 Rn 21 ff.)
Hinweis:
Im Anwendungsbereich des § 130d ZPO ist die Frage nach dem Umfang der aktiven Nutzungspflicht insb. für Insolvenzverwalter relevant, die zugleich als Rechtsanwalt zugelassen sind. Im Anwendungsbereich von § 14b FamFG stellt sie sich für Rechtsanwälte, die zugleich als Berufsbetreuer, Verfahrenspfleger oder -beistand bzw. Sorgerechtspfleger tätig sind. Im Anwendungsbereich des § 52d FGO – wie vorstehend bereits dargestellt –, wenn ein Steuerberater und Wirtschaftsprüfer auch als Rechtsanwalt zugelassen ist oder wenn der gesetzliche Vertreter einer Steuerberatungsgesellschaft als Rechtsanwalt zugelassen ist.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nunmehr in zwei Entscheidungen deutlich gemacht, dass er von einem statusbezogenen Anwendungsbereich ausgeht. Zunächst entschied er – leider ohne sich mit der Literatur zu § 14b FamFG auseinanderzusetzen –, dass ein anwaltlicher Insolvenzverwalter jedenfalls dann zur elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht verpflichtet ist, wenn er Rechtsmittel im Insolvenzverfahren einlegt (BGH, Beschl. v. 24.11.2022 – IX ZB 11/22 m. krit. Anm. Biallaß, NJW 2023, 528). Sodann entschied er nach Auswertung der Literatur zu § 14b FamFG, dass Rechtsanwälte, die in einem Verfahren das Amt des Verfahrenspflegers berufsmäßig ausüben und in dieser Eigenschaft eine Beschwerdeschrift nach § 64 Abs. 2 S. 1 FamFG einreichen, diese gem. § 14b Abs. 1 S. 1 FamFG als elektronisches Dokument übermitteln müssen (BGH, Beschl. v. 31.1.2023 – XIII ZB 90/22 – juris Rn 13 ff.).
Praxistipp:
Auch schon vor diesen Entscheidungen konnte jedem Rechtsanwalt, der in anderer Funktion Einreichungen bei Gericht vornahm, nur geraten werden, diese aus Vorsichtsgesichtspunkten in elektronischer Form vorzunehmen. Nach den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs muss diese Empfehlung – auch wenn sie zu einer Ungleichbehandlung von als Rechtsanwalt zugelassenen Insolvenzverwaltern, Berufsbetreuern, Verfahrenspflegern, -beiständen und Sorgerechtspflegern im Vergleich zu solchen, die andere berufliche Werdegänge haben, führt – aufrechterhalten bleiben.
Das Verwaltun...