Sehr kritisch zu betrachten sind die sich daraus in der Praxis ergebenden Auswirkungen bei Vorhandensein eines dynamischen Titels über Minderjährigenunterhalt.
Berechnungsbeispiel 1:
Eine Unterhaltsverpflichtung i.H.v. 160 % des Mindestunterhalts nach Einkommensgruppe 10 der Düsseldorfer Tabelle ist tituliert worden.
2023 umfasste die Gruppe 10 einen Einkommensbereich von 5.101 EUR bis 5.500 EUR, im Jahr 2024 hingegen einen Bereich von 5.301 EUR bis 5.700 EUR. Damit lagen unterhaltsrelevante Einkommen zwischen 5.101 EUR bis 5.300 EUR im Jahr 2023 innerhalb dieses Bereiches der Gruppe 10 mit 160 % des Mindestbedarfes, jetzt aber außerhalb.
Durch diese Verschiebung der Tabellenstruktur liegt jetzt nur noch der Bereich von 5.301 EUR bis 5.500 EUR unverändert im Bereich der Einkommensgruppe 10 mit 160 % des Mindestbedarfes.
Beispiel: 1 Kind
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Gruppe 10 (2023) |
Gruppe 9 (2024) |
Gruppe 10 (2024) |
Einkommen Vater |
5.200 EUR |
5.200 EUR |
5.200 EUR |
Prozentsatz |
160 % |
152 % |
160 % |
Zahlbetrag nach Tabelle (Kind 10 Jahre) |
679 EUR |
713 EUR |
757 EUR |
Hat ein Unterhaltspflichtiger im Jahr 2023 aufgrund seines Einkommens von 5.200 EUR eine Unterhaltsverpflichtung von 160 % des Mindestbedarfes titulieren lassen, ergab sich daraus im Jahr 2023 bei einem Kind im Alter von zehn Jahren ein Zahlbetrag von 679 EUR. In dieser Höhe konnte im letzten Jahr aus dem dynamischen Titel vollstreckt werden.
Jetzt aber liegt der Unterhaltspflichtige mit seinem unveränderten Einkommen im Jahre 2024 im Einkommensbereich der Gruppe 9 mit nur 152 % des Mindestbedarfes, was ab 1.1.2024 einem Zahlbetrag von 713 EUR entspricht.
Tituliert ist allerdings Unterhalt nach Gruppe 10 mit 160 % des Mindestunterhalts; daraus ergibt sich im Jahr 2024 ein Zahlbetrag für das zehn Jahre alte Kind von 757 EUR.
Aufgrund dieses Titels kann das Kind bzw. der betreuende Elternteil weiterhin i.H.v. 160 % des Mindestbedarfes vollstrecken, also konkret im Beispiel einen Betrag von 757 EUR. Der Unterhaltspflichtige muss sich, wenn er dies nicht akzeptieren will, entweder mit dem Unterhaltsberechtigten außergerichtlich einigen oder eine Änderung des dynamischen Titels erwirken, also ggf. ein gerichtliches Abänderungsverfahren durchführen.
In der anwaltlichen Beratungspraxis hat dies zur Folge, dass alle dynamischen Titel im Hinblick auf diese Verschiebung der Einkommensstufen überprüft werden sollten. Möglicherweise können dann zahlreiche Titel keinen Bestand mehr haben. Durch die vorgenommene Änderung der Struktur der Tabelle wäre dann in einem Großteil der Fälle der Sinn des dynamischen Titels konterkariert, nämlich einen beständigen Titel zu haben, der sich selbst jedes Jahr automatisch anpasst und bei gleichbleibenden Einkommensverhältnissen ein gerichtliches Abänderungsverfahren entbehrlich macht.
Will der Unterhaltspflichtige verhindern, dass weiter aus dem vorhandenen dynamischen Titel ein zu hoher Unterhaltsbetrag vollstreckt wird, muss er ein gerichtliches Abänderungsverfahren einleiten. Es ist aber immer zu empfehlen, vorher den Unterhaltsberechtigten als Gläubiger aus dem Titel aufzufordern, sich freiwillig auf eine Anpassung einzulassen. Ohne eine solche vorgerichtliche Maßnahme besteht die Gefahr, dass der Gläubiger ein sofortiges Anerkenntnis abgibt, mit der Folge, dass der Antragsteller des Abänderungsverfahrens die Verfahrenskosten auferlegt bekommt (§ 243 S. 2 Nr. 4 FamFG i.V.m. § 93 ZPO).
Geht es um einen Abänderungsantrag gegen einen gerichtlichen Titel, so kann dieser nur ab Zustellung des gerichtlichen Antrages gem. § 238 Abs. 3 S. 1 FamFG abgeändert werden, es sei denn, es ist eine solche vorgerichtliche „negative Mahnung” ausgesprochen worden, die eine rückwirkende Änderung des Titels nach § 238 Abs. 3 S. 3 FamFG ermöglicht.
Bei den übrigen Titeln ist eine Abänderung über § 239 FamFG ohne diese Einschränkung immer rückwirkend bezogen auf den Zeitpunkt des Eintritts des abändernden Ereignisses zulässig. Das wäre hier der 1.1.2024 mit dem Inkrafttreten der geänderten Düsseldorfer Tabelle.
In einem Abänderungsverfahren wird sich in der Praxis eine weitere Schwierigkeit ergeben. In aller Regel ist der dynamische Titel als Jugendamtsurkunde oder als einseitige notarielle Verpflichtungserklärung tituliert. Festgelegt wird dabei in der Urkunde sicherlich der Prozentsatz, zu dem der Unterhaltspflichtige seine Unterhaltsverpflichtung übernehmen will, nicht aber notwendigerweise sein dieser Festlegung zugrunde liegendes Einkommen. Im Falle einer vom Unterhaltspflichtigen begehrten Abänderung kann also schon darüber Streit entstehen, ob überhaupt solch ein Fall des Wechsels der Einkommensgruppe vorliegt oder ob man sich stattdessen in einem Einkommensbereich bewegt, der von der Tabellenverschiebung gar nicht berührt wird.