I. Einleitung
Umfassende Kenntnisse des gesetzlichen Erbrechts sind Voraussetzung für eine gute Beratung des Mandanten in nahezu sämtlichen erbrechtlichen Fällen.
Grundsätzlich ist die gesetzliche Erbfolge gegenüber der gewillkürten Erbfolge subsidiär. Hat der Erblasser eine wirksame Verfügung von Todes wegen errichtet, scheidet die Anwendung der gesetzlichen Erbfolge aus. Fehlt es an einer Verfügung von Todes wegen oder ist diese unwirksam, da der Erblasser z.B. die Formvoraussetzung des eigenhändigen Testaments gem. § 2247 Abs. 1 BGB missachtet hat, kommt es zu der Verwandtenerbfolge nach den §§ 1924 ff. BGB (Damrau/Tanck, Erbrecht, § 1924 Rn 1).
II. Gesetzliche Erbfolge
Das deutsche Recht kennt drei Gruppen von gesetzlichen Erben:
- Verwandte,
- Ehegatte bzw. Lebenspartner,
- Staat.
1. Gesetzliche Erbfolge der Verwandten
In erster Linie steht den Verwandten des Erblassers nach §§ 1924 ff. BGB ein gesetzliches Erbrecht zu. Entscheidend für die gesetzliche Erbfolge ist, wer Verwandter ist und zu welcher Erbordnung er/sie gehört.
a) Begriff der Verwandtschaft und der Abstammung
Der Begriff der Verwandtschaft geht im deutschen Zivilrecht über die durch Blutsbande vermittelten Beziehungen hinaus. Neben der auf der Abstammung beruhenden leiblichen Verwandtschaft kann die Verwandtschaft, auch rechtlich durch eine Adoption begründet werden (Palandt/Brudermüller, BGB, 75. Aufl., Einf. v. § 1589 Rn 1).
aa) Natürliche Abstammung
Der Begriff der Verwandtschaft bestimmt sich nach § 1589 BGB. Nach Satz 1 sind Personen in gerader Linie miteinander verwandt, wenn die eine von der anderen abstammt (Großeltern, Eltern, Kind, Enkel). Nach Satz 2 sind auch Personen in der Seitlinie miteinander verwandt, wenn sie von derselben dritten Person abstammen (Geschwister, Onkel, Tante).
Ob eine Person von einer anderen abstammt, bestimmt sich nach § 1591 BGB für die Mutterschaft und nach § 1592 BGB für die Vaterschaft. Nach § 1591 BGB ist die Mutter eines Kindes die Frau, die es geboren hat. Nach § 1592 ist der Vater eines Kindes der Mann,
- der im Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist,
- der die Vaterschaft anerkannt hat oder
- dessen Vaterschaft nach § 1600d BGB oder § 182 Abs. 1 BGB des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gerichtlich festgestellt ist.
bb) Rechtliche Abstammung
Die Abstammung kann darüber hinaus durch Adoption begründet werden, hierbei muss zwischen der Adoption eines Minderjährigen und der Adoption eines Volljährigen unterschieden werden.
(1) Adoption eines Minderjährigen
Durch die Adoption eines Minderjährigen wird dieses Kind ein Kind des Annehmenden (§ 1754 Abs. 2 BGB) bzw. bei der Adoption durch ein Ehepaar ein gemeinschaftliches Kind des Ehepaars (§ 1754 Abs. 1 BGB). Mit dem Eintritt der Adoption erlöscht auf der einen Seite das Verwandtschaftsverhältnis zu den bisherigen Verwandten, § 1755 Abs. 1 BGB. Auf der anderen Seite wird der adoptierte Minderjährige in jeder Hinsicht zu einem Kind des oder der Annehmenden, d.h. der Adoptierte wird auch zum Enkel der Eltern des bzw. der Annehmenden, sog. Grundsatz der Volladoption (Schlüter/Röthel, Erbrecht, 17. Aufl., § 8 Rn 9).
Hinweis:
Für die gesetzliche Erbfolge bedeutet dies, dass der Minderjährige durch die Adoption zu den Erben erster Ordnung des bzw. der Annehmenden gehört. Ein gesetzliches Erbrecht zu seinen bisherigen Verwandten erlischt.
(2) Adoption eines Volljährigen
Nach § 1767 Abs. 1 BGB kann ein Volljähriger als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist; dies ist insbesondere anzunehmen, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist und die Annahme dem Wohl des Anzunehmenden dient (Reinhardt/Kemper/Weitzel, Adoptionsrecht, 2. Aufl., § 1767 Rn 2). Ein Eltern-Kind-Verhältnis wird unter Erwachsenen im Wesentlichen durch die auf Dauer angelegte Bereitschaft zu gegenseitigem Beistand geprägt, sowie dieser gewöhnlich zwischen leiblichen Eltern und Kindern geleistet wird (BayObLG FamRZ 2002, 1651). Ein solches Verhältnis ist nicht gegeben, wenn die Beziehung nicht wesentlich durch die Bereitschaft zum gegenseitigen Beistand geprägt ist, sondern ausschließlich auf die Erlangung von Vorteilen z.B. steuerlicher Art ausgerichtet ist (Reinhardt/Kemper/Weitzel, Adoptionsrecht, 2. Aufl., § 1767 Rn 2).
Im Vergleich zu der Adoption von einem Minderjährigen bestehen aber bei der Adoption eines Volljährigen Unterschiede. Bei der Adoption eines Volljährigen erstreckt sich die Wirkung der Annahme nicht auf die Verwandten des Annehmenden, § 1770 Abs. 1 BGB.
Hinweis:
Insoweit bleibt der Adoptierte Verwandter seiner leiblichen Familie. Ebenfalls werden die Rechte und Pflichten aus dem Verwandtschaftsverhältnis des Angenommenen und seiner Abkömmlinge zu ihren Verwandten durch die Annahme nicht berührt, soweit das Gesetz ein anderes nicht vorschreibt, § 1770 Abs. 2 BGB.
Der Grundsatz der Volladoption gilt hier nicht, wodurch der Volljährige auch weiterhin zu den gesetzlichen Erben der ersten Ordnung seiner leiblichen Familie gehört.
b) Ordnungssystem der gesetzlichen Erbfolge
Die Verwandtenerbfolge wird durch die Einteilung in Ordnungen in ein Ran...