Der abgemahnte Arbeitnehmer seinerseits stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, die Abmahnung anzugreifen oder ob man sie nicht besser als berechtigte Warnung des missgestimmten Arbeitgebers hinnehmen sollte. In der Literatur wird diesbezüglich – mit Blick auf das wahre Leben und mit guten Gründen – die Auffassung vertreten, die arbeitnehmerseitige Klage gegen eine Abmahnung sei in fast allen Fällen ein (anwaltlicher) Kunstfehler (vgl. Diller ArbRAktuell 2010, 595).
In diesem Kontext ist zu beachten, dass keine Verpflichtung oder Obliegenheit des Arbeitnehmers besteht, gegen eine ihm ausgesprochene Abmahnung fristgebunden oder zeitnah vorzugehen. Auch erfassen tarif- oder arbeitsvertragliche Ausschlussfristen nicht den Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte, weil dieser letztlich auf einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) beruht (vgl. BAG, Urt. v. 14.12.1994 – 5 AZR 137/94) und diese Rechtsbeeinträchtigung keinen Ausschlussfristen unterliegt.
Zudem kann der Arbeitnehmer die Abmahnung auch in einem späteren Kündigungsschutzprozess mit überprüfen lassen, wobei sich dann ggf. infolge der den Arbeitgeber treffenden Darlegungs- und Beweislast für die Rechtfertigung der Abmahnung (vgl. BAG, Urt. v. 13.3.1987 – 7 AZR 601/85) prozesstaktische Vorteile bei einer Unwirksamkeit infolge fehlender Nachholbarkeit ergeben können, die sich auch auf die Kündigung und deren Unwirksamkeit auswirken können.
Da die Abmahnung nach einer undefinierten Zeit entsprechend den Umständen des Einzelfalls ihre Wirkung einbüßt, der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für ihre Rechtmäßigkeit trägt und eine isolierte Klage gegen eine Abmahnung immer zu einer Belastung und streitigen Auseinandersetzung zwischen den Arbeitsvertragsparteien führt, muss die Erhebung einer Abmahnungsklage durch den Arbeitnehmer deshalb wohlüberlegt sein. Aus seiner Sicht ergibt die Klage nur dann taktisch Sinn, wenn man die Abmahnung als Kristallisationspunkt verwendet, um mit dem Arbeitgeber in Trennungsverhandlungen einzutreten bzw. die Trennung zu provozieren (Diller ArbRAktuell 2010, 595; Mues ArbRB 2003, 336, 337). Insoweit gilt es, mit Korinth (ArbRB 2003, 94) zutreffend festzustellen, dass nichts so sehr im Gedächtnis eines Personalverantwortlichen haften bleibt wie eine Abmahnung, zu deren Entfernung er verurteilt worden ist. Auch die Nachholbarkeit einer formal fehlerhaften Abmahnung und Ersetzung durch eine wirksame Abmahnung kann das Obsiegen im Abmahnungsprozess für den Arbeitnehmer ungewollt in einen Pyrrhussieg verwandeln und seine Ausgangslage in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess bei nun vorliegender wirksamer Abmahnung nachhaltig verschlechtern (Diller ArbRAktuell 2010, 595, 596).
Es existiert keine Regelfrist, aus der zwingend der Wirkungsverlust einer früheren Abmahnung und damit einhergehend ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte folgt. Eine Unwirksamkeit durch Zeitablauf kann nur aufgrund aller Umstände des Einzelfalls festgestellt werden. In der Praxis wird als Anhaltspunkt für die zeitliche Bestimmung der Geltungsdauer häufig eine Frist von zwei oder drei Jahren zugrunde gelegt (vgl. HWK-Quecke, a.a.O., § 1 KSchG Rn 191). Diese Frist ist aber nicht zwingend. Maßgebend sind die Art und die Schwere der Verfehlung des Arbeitnehmers und sein Folgeverhalten im Anschluss an die Abmahnung.
Praxishinweis:
Der mit der Prüfung einer arbeitsrechtlichen Abmahnung beauftragte Rechtsanwalt muss deshalb sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite immer die taktische Ausgangslage und die rechtliche Situation sorgfältig prüfen. Er muss bei seiner Handlungsempfehlung die Interessen des Mandanten und alle seine Rechte sowie die Gesamtsituation in arbeitsrechtlicher Risikosicht einpreisen. Dabei kann das dem Arbeitnehmer und Mandanten ggf. schwer zu vermittelnde beste Ergebnis auch sein, zunächst nichts gegen die Abmahnung zu unternehmen, sondern stattdessen die weitere Entwicklung des Arbeitsverhältnisses abzuwarten. Da keine Obliegenheit des Arbeitnehmers besteht, gegen eine aus seiner Sicht unzutreffende Abmahnung vorzugehen, kann er auch auf eine Verbesserung seiner Rechtsposition durch Zeitablauf setzen. Spricht der Arbeitgeber mit gehörigem zeitlichem Abstand zu der Abmahnung eine Kündigung aus, kann der Arbeitnehmer ihm dann entgegenhalten, es habe an einer wirksamen Abmahnung gefehlt und die Kündigung sei damit wegen Verstoßes gegen den Ultima-Ratio-Grundsatz unwirksam. Möglicherweise gerät der darlegungs- und beweisbelastete Arbeitgeber daraufhin in Erklärungsnot, weil er die Ereignisse nicht mehr, wie prozessual gefordert, rekonstruieren kann oder weil er keinen Zugriff mehr auf Zeugen hat, die seine Behauptungen bestätigen (vgl. Korinth ArbRB 2003, 94).
All diese Zusammenhänge müssen vor Erhebung einer auf die Entfernung einer Abmahnung gerichteten Klage vom Arbeitnehmer und seinem anwaltlichen Berater wohl bedacht und abge...