Bei der Abmahnung handelt es sich um die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Gläubigerrechts, die bei Pflichtverletzungen von beiden Vertragsparteien ausgesprochen werden kann. Als Gläubiger der Arbeitsleistung weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rüge- bzw. Dokumentationsfunktion). Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragsgetreuen Verhalten auf und kündigt, wenn ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion, BAG, Urt. v. 30.5.1996 – 6 AZR 537/95, NZA 1997, 145; vgl. § 12 Abs. 3 AGG und § 314 Abs. 2 BGB).
Hinweis:
Die Abmahnung zielt darauf ab, künftigen Vertragsverstößen entgegenzuwirken und künftige Vertragstreue herzustellen. Bildlich gesprochen soll der Arbeitnehmer "auf den Pfad der Arbeitstugenden" zurückgebracht werden. Die Abmahnung ist somit nach ihrer rechtlichen Konzeption zukunftsorientiert und dient nicht zur Sanktion eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens (vgl. Binkert NZA 2016, 721).
Die Abmahnung ist eine geschäftsähnliche Erklärung, für die das Widerrufsrecht nach ihrem Zugang beim Arbeitnehmer entsprechend § 130 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen ist (Kleinebrink ArbRB 2017, 154, 155; zum umstrittenen Rechtscharakter vgl. Quecke, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, Kommentar, 7. Aufl. 2016, § 1 KSchG Rn 198 [im Folgenden kurz: HWK-Quecke]). Die Rechtswirksamkeit einer Abmahnung wird nicht dadurch gehindert, dass der Arbeitnehmer der deutschen Sprache nicht mächtig ist (vgl. Hessisches LAG, Urt. v. 23.1.2018 – 8 Sa 334/17 Rn 103; BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR 252/12 Rn 41, NZA 2014, 1076).
Der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer wegen einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung abmahnt, übt ein vertragliches Rügerecht aus. Es gibt keine "Regelausschlussfrist", innerhalb derer das Rügerecht ausgeübt werden muss. Die im Gesetz für andere Rechtsinstitute vorgesehenen Ausschlussfristen können auch nicht in entsprechender Anwendung auf die Abmahnung ausgedehnt werden. Die Abmahnung ist weder ein Gestaltungsrecht, noch ist sie eine Willenserklärung im rechtlichen Sinne. Bei ausreichendem Zeit- und Umstandsmoment kann das Abmahnungsrecht aber wohl nach § 242 BGB verwirken (vgl. BAG, Urt. v. 15.1.1986 – 5 AZR 70/84, NZA 1986, 421; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 18.9.2007 – 3 Sa 267/07). In diesem Fall muss die Abmahnung illoyal verspätet sein. Der Arbeitgeber muss unter Umständen untätig geblieben sein, so dass bei dem Arbeitnehmer der Eindruck erweckt wird, der Arbeitgeber werde sein Abmahnungsrecht ihm gegenüber nicht mehr geltend machen. Der Kläger muss sich aus der Sicht eines objektiven Dritten mit Blick auf das Zeit- und Umstandsmoment darauf einstellen dürfen, nicht mehr abgemahnt zu werden (vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 18.9.2007 – 3 Sa 267/07 Rn 22).
Eine Abmahnung kann nicht wegen unbedeutender Pflichtenverstöße ausgesprochen werden. Eine Abmahnung muss verhältnismäßig sein. Aus der Warnfunktion der Abmahnung folgt, dass der vom Arbeitgeber abgemahnte Verstoß grundsätzlich auch eine Kündigung rechtfertigt. Folglich muss ein gewichtiger arbeitsrechtlicher Verstoß vorliegen. Anderenfalls kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in Abgrenzung zur Abmahnung belehren, ermahnen, verwarnen oder ihm einen Verweis erteilen. Diese Rechtsinstitute enthalten im Unterschied zur Abmahnung jedoch keine Kündigungsandrohung, zeitigen keine Rechtsfolgen und sind deshalb kündigungsrechtlich ohne Belang.
Eine Abmahnung ist im Kleinbetrieb (§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG) entbehrlich. In allen anderen Betrieben ist sie bei einer fristgerechten ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung während der ersten sechs Monate der Beschäftigung (Wartezeit, § 1 Abs. 1 KSchG, "Probezeitkündigung") nicht erforderlich.