Die nachfolgenden fünf aus der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte beispielhaft herausgegriffenen aktuellen Streitfälle belegen einerseits die Aktualität des Abmahnungsrechts, das stets neue Fallgestaltungen produziert und durch gesellschaftliche Phänomene und Strömungen sowie technologische Entwicklungen besonders geprägt wird (Fälle 1. bis 3. und 5.). Andererseits zeigt die Grundlagenentscheidung des Zehnten Senats zur (fehlenden) Verbindlichkeit des Weisungsrechts des Arbeitgebers bei unbilligen Weisungen (Fall 4.) die enge Verzahnung von Weisungs-, Abmahnungs- und Kündigungsschutzrecht auf, die maßgeblich die rechtliche und taktische Beratung bestimmt und die deshalb in der anwaltlichen Praxis beherrscht und dem Mandanten mitgeteilt werden muss.
1. Verweigerung der Herausgabe der privaten Mobilfunknummer, Datenschutz
Die Erhebung/Erfassung der privaten Mobiltelefonnummer eines Arbeitnehmers gegen seinen Willen ist wegen des darin liegenden äußerst schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn der Arbeitgeber ohne Kenntnis der Mobiltelefonnummer im Einzelfall eine legitime Aufgabe, für die der Arbeitnehmer eingestellt ist, nicht, nicht vollständig oder nicht in rechtmäßiger Weise erfüllen kann und ihm eine andere Organisation der Aufgabenerfüllung nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Verweigert ein Arbeitnehmer die datenschutzrechtlich unzulässige Erfassung der Mobiltelefonnummer, hat er einen Anspruch auf Rücknahme und Entfernung einer deshalb erteilten Abmahnung aus der Personalakte (LAG Thüringen, Urt. v. 16.5.2018 – 6 Sa 442/17, ZAP EN-Nr. 589/2018).
2. Sexuelle Belästigung kein außerordentlicher Kündigungsgrund ohne vorherige Abmahnung, MeToo-Debatte
Erfüllen sowohl ein Kuss auf die Wange als auch der Inhalt eines WhatsApp-Chats den Tatbestand einer sexuellen Belästigung i.S.d. § 3 Abs. 4 AGG und stellen diese Verhaltensweisen daher eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar, ist eine außerordentliche Kündigung seitens der Arbeitgeberin gleichwohl unverhältnismäßig, wenn keine Umstände vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass selbst nach einer Abmahnung von einer Wiederholungsgefahr auszugehen ist, und die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nicht als derart schwerwiegend erscheint, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Arbeitgeberin nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist (LAG Rheinland-Pfalz v. 23.3.2018 – 1 Sa 507/17).
3. Ausländerfeindliches Verhalten, Internet-Post
Veröffentlicht ein Arbeitnehmer auf einer rechtsradikalen Facebook-Seite unter seinem Namen und in Straßenbahnuniform ein Foto mit einer meckernden Ziege mit der Sprechblase "Achmed, ich bin schwanger", so kann dies eine fristlose Kündigung der im Eigentum einer Stadt stehenden Straßenbahngesellschaft rechtfertigen. Das Ziegenfoto hat nichts mit Satire zu tun, sondern enthält ausschließlich eine menschenverachtende und menschenherabwürdigende "Botschaft". Eine solche Schmähkritik ist von der Meinungsfreiheit nicht geschützt. Der Bezug zum Arbeitsverhältnis liegt darin, dass der Kläger sich auf der Internet-Plattform öffentlich neben dem Ziegenbild in seiner Uniform als Straßenbahnschaffner und unter seinem Namen abbilden ließ. Damit ist für jeden Betrachter klar geworden, dass der Kläger Arbeitnehmer der Beklagten ist und seine menschenverachtende Haltung in Bezug zur Beklagten darstellte (Anm.: Außenwirkung, Rufschädigung). Einer Abmahnung bedarf es nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. Im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzung war es für den Kläger erkennbar, dass eine Hinnahme dieser Pflichtverletzung durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen war. Eine Abmahnung war deshalb entbehrlich (vgl. Sächsisches LAG, Urt. v. 27.2.2018 – 1 Sa 515/17, NZA-RR 2018, 244 unter Hinweis auf BAG, Urt. v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09 Rn 37 m.w.N.).
4. Versetzung, unbillige Weisung, Verbindlichkeit für den Arbeitnehmer, Abmahnungsrisiko
Nach übereinstimmender Auffassung des Fünften (vgl. zur abgelösten Rechtsprechung Urt. v. 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, NZA 2012, 858) und Zehnten Senats ist ein Arbeitnehmer nach § 106 S. 1 GewO, § 315 BGB nicht – auch nicht vorläufig – an eine Weisung des Arbeitgebers gebunden, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahrt (unbillige Weisung, BAG, Urt. v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452). Auf der Grundlage dieser gewandelten Rechtsprechung braucht der Arbeitnehmer nunmehr zwar nicht mehr zwangsläufig bis zur rechtskräftigen Klärung ihrer Billigkeit oder Unbilligkeit einer Weisung seines Arbeitgebers zu folgen. Jedoch trägt er bei einer (beharrlichen) Verweigerungshaltung das Risiko, dass ihn sein Arbeitgeber wegen der Nichtbefolgung der Weisung – unter Hinweis auf deren Billigkeit, Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit – abmahnt und bei einer fortgesetzten Verweigerung bzw. Ablehnung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses schreitet. Mit anderen Worten: Akzeptiert der Arbeitnehmer eine Weisung nicht, die er als unbill...